Zukunft abzugeben,
günstig.
Es dürften mehr als 50 Pfandflaschen - oder was er dafür hielt - sein, denen der Flaschensammler, der von mir aus Timur heißt, hinterherfluchte. Die Türen hatten sich, ohne sich dazu mit ihm abgestimmt zu haben, geschlossen, und so war er von seinem Nachtwerk abgeschnitten. Sein Fluch galt vor allem dem Zugführer, für den er sich eigens für diesen Anlass bestimmte Schimpfworte einfallen ließ, unter anderem Kanalkacker und Hirndackel. Er teilt dem Fahrer auch mit, kein Ticket zu besitzen. An dieser Stelle fragen Kinder sich, ob an der nächsten Station bereits die Polizei wartet, um den Ticketlosen abzuführen. Mit mir selbst eine Wette abschließend, ob Timur an der Barnebelstraße aussteigen würde, hat er bereits Anlauf genommen zur Fahrerkabine und kommt dort unter großem Geplapper - sein übrig gebliebenes Kohlesack mit Flaschen hatten noch immer die Größe eines Autoreifens - an, noch bevor ich einen Tipp abgegeben habe. Zu verlieren und zu gewinnen hatte ich nichts. Aus dem vom Herrn der Flaschen verursachten Gepolter ist herauszuhören, dass mit jedem zweiten Schritt eine Flasche zerscheppert - der Sack würde reißen. Wild kloppt Timur an die Tür, wir befinden uns im ersten Wagen, er möchte den Fahrer zur Rede stellen oder auch einfach nur schreien. Der Fahrer würde etwas unternehmen. Geschrei ginge wohl in Ordnung. Tritte gegen das Inventar lassen das Herz der Lokführer rasen, zumal Timur inzwischen auch das Plakat einer Sprachschule abgerissen hat. Die Bahn hält, Timur steigt aus und tritt neben das Cockpit. Dieser etwas mürrische Auftritt passt nicht mit dem Glitzerstaub in seinem Gesicht zusammen, den ihm ein Trupp angetrunkener Meerjungfrauen ins Gesicht geblasen hatte. Der Fahrer lässt die Scheibe runter. 10 der 33 Fahrgäste strecken ihren Kopf nach draußen, um den Ausgang des Geplänkels zu verfolgen. Ich stehe so günstig an der Tür, dass ich Kopf und Bein nicht rühre. Dem Streit sind nur zwei Dinge zu entnehmen: erstens sei der Fahrer zu früh gestartet und zweitens habe er eine Bierflasche auf seiner Ablage stehen. Beide Punkte bringen den Fahrer weder dazu auszusteigen noch den Zug länger als eine Minute stehen zu lassen. Gemütlich tackert die Bahn los. Um diese Uhrzeit findet Tempo vor allem im Kopf statt. Timur hat vom Fahrer, nachdem dessen Beruhigungsgesang keinen Anklang fand, eine Bierflasche geschenkt bekommen und prostet uns zu. Einige winken zurück. Ich bleibe still stehen. Während seines gesamten Auftritts hat Timur nicht einmal mit seinen Augen gezwinkert. Was immer er genommen hatte: es war zu viel davon. Währenddessen: ein junges Pärchen hat so viel getrunken, dass es sich nun um das letzte Bier streitet. Fast jeder Bahnhof auf dieser Linie hat einen Kiosk in Reichweite - für Münzen erhält man dort flüssigen Spaß. Statt auszusteigen und dank eines Besuchs im Spätverkauf sowohl den Bierappetit zu stillen als auch den Zwist zu beenden, stampft die Frau auf und kippt dabei nach vorne über. Ihr Freund fängt allerdings nicht sie, sondern das Bier auf. Überhaupt tauscht er mit der Flasche mehr Blicke aus als mit seiner Freundin. Währenddessen läuft auf den Monitoren ein Reminder, beim Sex Kondome zu verwenden. Auf dem Boden liegend fasst die Frau um Ringung. Beim Versuch, aufzustehen, schiebt sich ihr Rock aus schwarzem Nylon unvorteilhaft nach oben, was ihren Freund dazu bringt, sie mit einem Zug hochzuheben, nicht ohne sich vorher mit atemberaubender Langsamkeit zwei Schluck aus der Flasche zu gönnen. Leider bekommt er dafür keine gescheuert von seiner Freundin, die den Sturz wachgeworden ist. Sie putzt sich sauber, klopft ihren Rock ab, und faustet dem Mann dann lächelnd auf seine Brust. Sie umarmt ihn, lässt sich dabei ins Ohr küssen, und greift nach seinem Arsch. Er reicht ihr das übrige Bier und sie leert es, holt tief Luft und springt, als das Türsignal bereits ertönt ist, aus dem Wagen. Nun sind wir 23 oder 32, jedenfalls eine weniger. Der Mann lässt sich in einen Sitz fallen. Dort findet er unter dem Stuhl ein halbes Pils. Nach kurzer Überlegung setzt er an, guckt durch die Decke und nuckelt es leer. Dabei mustert er die anderen Fahrgäste und bleibt bei einer jungen Frau hängen. Glanz in seinen Augen, aufsteigender Kurzrausch. Das Klingeln seines Smartphones überhört er. Mit 27 wird er ein Haus bauen, mit 28 heiraten und mit 29 Vater. Ganz nach dem Geschmack seiner Frau, die er an diesem Abend kennengelernt wird haben. Währenddessen II: ein - für die Uhrzeit überraschend noch unterwegs - ein 7 oder 8 Jahre alter Junge bricht mit seiner anscheinenden Mutter einen Streit über den Kauf einer Tablet-Applikation vom Zaun: 3 Euro haben oder auszugeben, so die Frau mit virtuellem Zeigefinger, habe Auswirkungen auf die Schwere des Sparschweins. Der Junge hierauf: es gebe auch Apps für 5 Euro, und wenn man hierfür einen Papierschein verwende, bliebe auch das Sparschwein im Saft. Diese Spitze mag in vielerlei Hinsicht unzutreffend sein, zeigt jedoch, dass der Knirps wahrscheinlich auch dem Fußballplatz schon mehr als ein Schlitzohrtor erzielt hat. Die stöhnende Mutter verweist auf angebliche Bücherregale daheim mit angeblich spannend bedruckten Papierseiten, die zudem nichts kosten würden. Sie kosten nichts, da sie nichts wert sind - diese völlig überzogene Antwort wäre drollig gewesen, allerdings sind meine Ohren im entscheidenden Moment mit einer Durchsage des U-Bahn-Kapitäns beschäftigt. Die Mutter, in Fahrtrichtung am Fenster sitzend, legt ihre rechte Hand auf den linken Oberschenkel des Kleinen, der daraufhin sein Bein wegzieht und rosa anläuft, bevor aus ihm herausbricht, dass alle seine Freunde diese App hätten und dass sogar sein Stammplatz im Fußballteam gefährdet wäre, wenn er sich das Bytes-Konvolut nicht ziehen würde. Ich werde das im Auge behalten und gegebenenfalls mit deinem Trainer sprechen, so die Mama. Hierauf zieht er sein smartes Telefon, ruft den Online-Store, der allerdings nicht zu erreichen ist - schließlich fahren wir im Untergrund - auf, weicht auf Screenshots aus, und ruft seiner Mutter gefühlt 170x ein Bitte entgegen. Die aber lässt sich vom Flehen ihres, wie inzwischen alle Zuschauer wissen, Fredericks nicht erweichen und bleibt so streichzart wie eine Palette Stahl. Und so zieht Frederick - einer dieser Namen, der einen zweiten Namen enthält - die Karte aller Karten: frage ich eben Papa. Dafür hattest du heute den ganzen Tag Zeit. Nein, denn ihr habt nur gestritten. Haben wir nicht. Doch, und deshalb fahren wir jetzt U-Bahn. Versprichst du mir, nur am Wochenende zu spielen? Mit leeren Augen nickt der Junge. Sie streichelt ihm über seinen Kopf, legt die Haare zurecht, nimmt ihm das Telefon ab und lädt das Spiel - an einzelnen Stationen hat man mitunter Netz. Mit meiner Mutter hatte ich noch über die Anschaffung von 11,3 Millimeter hohen, mit Noppen versehenen Bauklötzen gestritten. Analog ist besser. Ein Polizeieinsatz auf der bevorstehenden Station bringt die Bahn zum Halt. Daraufhin fällt der Strom aus. Die Lichter gehen aus. Alle Blicke sind unterbrochen, die mit Augen geführten Gespräche weggeblasen. Kurze, rastlose Stille trifft allgemeine Hilflosigkeit, es wird nur noch ein-, nicht mehr ausgeatmet. Es gibt so viel Beleuchtung in dieser Stadt, dass wir die Dunkelheit verlernen. Ich schlürfe an meinem Kaffee und zähle die Sekunden des unerwarteten Mantels um mich herum: 18. Zur Auflockerung stellt jemand seine Musik auf laut, vielleicht aber hat er sich einfach vertippt. Man hatte dem Hip Hop schon vorher lauschen dürfen wegen der durchlässigen Kopfhörer. Schemenhaft zeichnet sich ab, dass der Mensch mit dem Bier sich längs gelegt hat und döst, unter der Werbefläche für eine Currywurstmarke. Der Glanz in seinen Augen rührte von der Vorfreude, gleich wegzunicken. Wie es sich wohl anfühlt, unter diesen Umständen geweckt zu werden: aus dem Sekundenschlaf heraus, von einer unbekannten Hand, während die Freundin weg ist und der Ausruf ihres Namens zu nichts führt, und man im Dunstkreis von 32 oder 23 fremden Gestalten Zeuge wird, wie es duftet, wenn Alkohol abgebaut wird, während man den Kater der kommenden Tage bereits schnurren hört, man dringend pissen, sein Oberteil wechseln und am liebsten nach Hause möchte. Mit dem Ziel, ihn wachzustupsen, verlasse ich meinen Stehplatz, schwinge mich bei einer Sichtweite von etwa 30 Zentimetern durchs Körperkonvolut und dank des Geruchs verschütt gegangenen Bieres wähne ich mich sicher am Ziel. Nicht meine Hand wird ihn wecken, sondern die nun wieder aktive Beleuchtung. Ich sehe in die Augen eines Mannes, so verwirrt wie ein Reh, das auf offenem Feld von Jägern und Hunden gejagt wird, mit nur geringer Aussicht, davonzukommen, dies aber intuitiv ignorierend. Ein älteres Ehepaar steigt ein. Sie in uni, etwas zu festlich für die U-Bahn, er in kariert, schick, sachlich, unverbindlich, vorzeigbar. Den Hip Hop quittieren beide mit Lächeln. Sie bleiben stehen, schauen sich nach zwei Plätzen um und halten sich unterbrechungsfrei die Hände. Um ihn etwas ins Ohr zu flüstern, tippt sie ihren Mann liebevoll an: 3x lässt sie Zeige-, Mittel- und Ringfinger auf seinem Oberarm hin und her spielen. Das wiederholt sich nun ein paar Mal. Sie hat einen Faden am Armende seines Sakkos gefunden und entfernt diesen erfolgreich. Als wäre sie angeln gewesen, hebt sie ihren Fang nach oben, wofür sie ein Küsschen bekommt. Ich erwische mich beim Fingernagelkauen und als Gegenmittel falte ich beide Hände ineinander. Aus ihrer Handtasche zieht die Frau eine kleine Tafel Schokolade, entfernt Papier und Silberfolie und teilt die handtellergroße Tafel in zwei Hälften, so dass beide einen gleichen Teil bekommen. Nebenan wird auf einem T-Shirt dazu aufgerufen, dass Schwarz eine Farbe sei. Sie wischt sich ihren Mund ab, und er fragt sie nach einem Wasser. Trinkend schiebt der Mann ihr Tickets zu, die sie schmunzelnd zurückgibt und ihm mit feierlicher Geste in die Brusttasche steckt. Es ist zu spät für eine öffentliche Veranstaltung, zu der sie altersmäßig passen, und gleichzeitig fehlt ihnen diese Gebrauchtheit einer Post-Konzert-Ausstrahlung; sie dürften noch auf dem Weg zur Veranstaltung sein. Bei Einfahrt in die nächste Station hebt der Mann Richtung weisend seinen Arm, obwohl die Frau und die Bahn von allein den Weg finden. Noch immer mit zwei Händen miteinander verbunden, ist die Frau zwei Schritte an die Tür getreten und nun konzentriert darauf, diese zu öffnen. Von ihrem Mann abgesehen sind die Mitfahrer beschäftigt mit Kopfschmerzen, Aneinandervorbeigucken, Smartphonebefehlen, Posieren oder dem Festhalten dieser Nacht. Etwas später erfahre ich, dass die beiden Eltern einer Dramatikerin sind, die in dieser Nacht eine exklusive Sneak Preview veranstaltet. Der Film wird ein Skandal. Der Halt am Andreasenweg besteht vor allem aus einer Gruppe männlicher Endzehner, deren Rauschpegel so weit ausschlägt, dass sie Bier mit Whiskey mixen, und die nun das Vokabular der Beförderungsbestimmungen der Öffentlichen abfeiern. Besonders Schienenpersonennahverkehr, Anschlussversäumnis, Vollzugsbeamte, Komfortzuschlag, Flächenzonenpläne, Tonwiedergabegeräte, Bedarfshaltestellen, Münzstücke, fahrradähnliche Roller, Fundsachenversand, Tarifwabe, Berufsvorbereitungslehrgang, Berechtigungsnachweis, Transitfall, Gültigkeitsbefristung, Kurzstreckenregelung. Sie verpacken diese Ungetüme in ein stand-up-Impromptu-espontánea-Theaterstück, welches allerdings bei allen Zuschauern durchfällt, ja, sogar aus allen Gedächtnissen herausfällt. Geht man nicht mehr zur Schule, hat keine Kinder und auch keine Lehrer als Freunde, achtet man in spätestens in einem Jahr nicht mehr darauf, ob Ferien sind. Man merkt es dann vielleicht an den auffallend leeren Bahnen morgens. Ich fahre zwischen 7 und 8 mit geschlossenen Augen. Ich hatte meine Ferien vor allem mit Spielen verbracht, um mir im neuen Jahr diverse 2, 3, 4 - sie nannten es Noten - abzuholen. Berichteten andere dann von Urlaubserlebnissen, Schwimmabzeichen oder auch dem erstem Job, fühlte sich meine Konsole nach einer Kiste voll Dunkelheit an. Daraus lernte ich nichts. Ich spielte jede Feriensaison bis zur Erschöpfung. Es gab andere in anderen Stufen auf anderen Schulen, die es ähnlich trieben, manchmal trafen wir uns, nur eine eigene Schule eröffneten wir nicht. Die Aufmerksamkeitsspanne der Jungs draußen leidet unter ihren exotischen Mixgetränke, und so tauschen sie die Urzeitsprachwelt der Beamtenfahrer gegen ein Thema, welches diese Stadt nicht gebraucht hat: Übersetzungen von "Schnitzel". Hier gehen der Platz 3 an den Spanier mit recorte, Silber an den Tschechen mit útrzek, und der Gewinner ist ein Russe mit obrézok. Kommt man aus anderen Ländern, ist man mit einem größeren Abstand gegenüber der Landessprache gesegnet, so dass der Berechtigungsnachweis, eine Tarifwabe betreten zu dürfen, zu einem Spiel mit Komfortzuschlag wird. Die ganze Mannschaft würde kein Ticket lösen und schwarz fahren. Ein neu Zugestiegener wird in den nächsten 30 Sekunden von seinem Leben berichten. Ein halbe Armlänge von mir entfernt, eingepackt in einem heruntergekommenen, hellen Leinenanzug: ein etwa 60 Jahre alter Mann, der, nachdem er seine Frau verloren hatte, sein Haus verlor, oder umgekehrt, auf jeden Fall hat er mit beiden Wohnzeit verbracht, danach nach frischer Bestätigung suchte und dazu auf Arbeit den Pfad des Karrieristen - bei diesem Wort prostete der Mitfahrgesellschaft zu - einschlug, der jedoch von seinem Vorgesetzten gestoppt wurde, da dieser seinen eigenen Fortgang gefährdet sah, und so setzte der Chef sein bestes Pferd erst ins Archiv und dann vor die Tür, so dass er erkrankte und während der Krankheit herausfand, schon immer etwas schwermütig gewesen zu sein, was ihn eine Bescheinigung einer psychischen Störung einbrachte, die in die Frühverrentung führte, die vom Geld aus gesehen einen Rück- und von Lebenszeit her einen Fortschritt darstelle, überhaupt fehlte ihm heute bis auf Frau, Haus und Beschäftigung nichts, er könne sich sogar eine Woche Bio leisten, und umgarnte ihn doch einmal die Schwermut, ergab er sich bis zum Morgengrauen dem Alkohol, auch Essen helfe, oder ein netter Fick. Ich setze meine Kopfhörer auf. Ignoranz ist eine Gabe. Keine Ignoranz an den Tag gelegt wird von zwei Touristen, wobei dessen weiblicher Part bereits dem Spendenaufruf gefolgt ist und Münzen zwischen die Finger gelegt hat, so dass sie fast aussehen wie Nickel-Messing-Schmuck. In der anderen Hand hält sie ein Schnäppchen suchende Applikation anzeigendes Superphone. Dass sie die einzige sein wird, die zu diesem Anlass - der ungebetenen Ausbreitung einer durchschnittlichen Lebensgeschichte - Geld hergibt, stört sie nicht nachhaltig. Auch der fehlende Zuspruch ihres sie am Ärmel zupfenden Mannes nicht. Wir alle wissen, dass der Gastdozent von eben mit den Touristeneuronen in den nächsten Spätkauf wabern wird, um sich dort ein Bier pflücken. Auch die Frau mit den Münzen weiß es, nur versteht sie das nicht. Und so schiebt sich der Gescheiterte von Reihe und Reihe, einen leisen Fluch ausstoßend für alle, die ihn nicht beachten und es nicht metallig klimpern lassen. In keinem seiner Flüche - und unter Weltuntergang und Verdammung macht er es nicht - erwähnt er sich selbst - hier ist seine Hygiene noch zu 100% intakt. Bei jüngeren Menschen und vor allem auch bei Frauen bleibt er länger stehen, und hier versucht er sogar, per Fluch ins Gespräch zu kommen, was so ist, als beträte man brennend eine Tankstelle und erwarte eine umsichtige Bedienung. Sein linkes Bein schlürft etwas, wobei ich weder das Schlürfen noch das Etwas für echt halte. Kurz vor der unfeierlichen Übergabe der paar Geldstücke stellt die Frau ihre Augen auf Scheinwerfer, bekommt dann ein kein Wort heraus, als der Straßenbewohner sie zu überreden versucht, ein Lied anzustimmen. Ein ruckigerer Halt der Bahn lässt uns alle wachwerden. Zum Schluss auch Fahrer und Türknopf beschimpfend, steigt der Gossenvertreter aus, um sich quer auf eine Sitzbank zu legen. Dabei fällt ihm das Kleingeld aus der Tasche. Die Spenderin möchte eingreifen, verhakt sich in der schließenden Tür, und wird von ihrem Mann herausgezogen. Sie verdammt diese Stadt und fragt ihren Mann, wer von beiden die Idee hatte, ausgerechnet hier 2 Wochen am Stück zu verbringen. Am Blechleplatz steige ich aus. Ich greife in meine Hosentaschen und lasse sie dort hängen. Meine Schnürsenkel sind geöffnet - ich mag das Risiko. Die Rauten auf dem Boden umgehe ich, und so sieht meine Fortbewegung nach Tänzeln aus. Kurz vor dem Ausgang stehen drei Rautenvariationen so ineinander, dass ich entgegen meinem Ziel nach links abbiege. Nach wenigen Metern stoße ich auf zwei Obdachlose, die sich über Kosenamen streiten. Während einer die Schatzmöse vertritt, setzt sich der andere für Gefühlsjackpot ein. Am besten stimmen die Frauen, denen diese Nettigkeiten gewidmet sind, darüber ab. Meinen Vorschlag behalte ich für mich. Gefühlsmöse behauptet, dass Schatzmöse nach Hundefutter klinge, während Schatzmöse auf die unvorteilhafte Figur hinweist, die Jackpot vermuten lässt. Mit dem Hinweis, dass er sich Schatzmöse habe tätowieren lassen, zieht Schatzmöse sein Sweatshirt nach oben, spannt seinen Bauch an, damit das Tattoo ganz zu sehen ist. Aus einer einfahrenden Bahn strömt Reggae-Musik. Schatzmöse erklärt, mit seinem Namen geradezu verwachsen zu sein. Dafür habe Gefühlsjackpot noch immer die Frau, die er so genannt hat, als Freundin. Inzwischen ist die Reggae-Crew ausgestiegen und auf dem Weg nach draußen. Gefühlsjackpot bittet sie, die Musik lauter zu stellen, nachts mache man das so. Den Wunsch erfüllen sie. Das animiert Gefühlsjackpot zur Frage, welcher der beiden Kosenamen schöner sei. Einen Gewinner gibt es nicht, denn Gefühlsjackpot schildert bereits die Genese des Namens: seine Freundin habe die Angewohnheit, während des Sex Musik aufzulegen, und breche dann mit den ersten Tönen in Lachen aus, welches zu Geheul wird, wonach der Sex weitergeht, als hätte es keine Unterbrechung gegeben. In der Zwischenzeit habe ich den beiden Kosehähnen zwei Snacktüten mit Pommes und Burgern gekauft. Verdauen hilft gegen Zwist. Auf der Treppe, die nach draußen führt, werde ich von einer jungen Touristin aufgehalten. In osteuropäisch gefärbten Englisch erklärt sie mir, zu einem Mollekurkaree zu wollen. Ich sortiere die Buchstaben neu zu einem Platz, der zutreffender sein dürfte. Diese Korrektur bringt sie zum Schmunzeln, den zweiten Namen findet sie noch lustiger als den ersten. Wie auch immer sein genauer Name war, möchte sie dort einen Freund besuchen, der ein bezirksbekanntes Café betreibe und heute Geburtstag habe. Da Mitternacht ist, wird sie mit ihrem Vorhaben entweder zu spät dran oder die Erste auf einer möglichen Party sein. Sie ist meiner Spitzfindigkeit gefolgt und tippt auf ihre Armbanduhr: dort ist es bereits 3 Uhr. Nach der Zeitrechnung ist sie Russin. Wäre ich entspannter, würde ich sie einfach fragen. Bin ich aber nicht. Ich zeige ihr den Weg, nicke ihr zu und wünsche ihr einen angenehmen Aufenthalt in der Stadt. Sie verrät mir ihren Namen: Petra. Nice to meet you, Petra. Aus ihrer Handtasche zieht sie ein Smartphone und zeigt mir ein Foto des Geburtstagskindes. This is Eric. Wie Eric aussieht, entgeht mir. Mein Augenmerk gilt den aufwändig hergerichteten Fingernägeln Petras. Die Makellosigkeit dieser Fingerfortsätze gibt mir einen kleinen Stich, wobei die Spitze mit Neid vergiftet ist. Meine Fingernägel befinden sich seit vielen Jahren am Ende. Sie erzählt mehrere kurze Geschichten, deren Höhepunkte ich nicht begreife. Was meine Geschichte sei? So etwas habe ich nicht. Ihr Redefluss verdampft. Ich zeige ihr erneut die Richtung, allerdings zur falschen U-Bahn, schließlich hat sie nun doch Zeit und Touristen möchten ihr Ausflugsziel kennenlernen. Ob ich mitkommen möchte? Nein, der Erste auf einer Party zu sein und gleichzeitig der einzige Fremde, passt nicht, selbst mit einer hübschen Begleitung wie Petra nicht. Sie hat nur Ohren für das Wort pretty. Ich laufe weg, ohne meinen Namen genannt zu haben. Es nieselt. Die triefende Luft legt sich wie eine zweite Haut an. Vor dem Konsumtempel setze ich mich an den Rand eines Brunnens und schaue zwei besten Freundinnnen dabei zu, wie sie die Öffnung eines Regenschirms gemeinsam nicht fertig bekommen - bei drei Handtaschen bleiben keine zwei Hände frei. Madeleine hat mir geschrieben und wünscht mir eine gute Nacht. Ich wünsche ihr das Gleiche, weiß aber nicht genau, wer Madeleine ist. Rückfrage: warum ich am Blechleplatz sei, es regnet doch, oder? Da ich auf dem Weg zu einer Party bin. Wunderst du dich nicht, dass ich deinen Aufenthalt kenne? Nein, denn hier bin ich jede zweite Nacht. Bei ihr daheim sei es deutlich netter - ob ich keine Lust hätte? Musik und leckeres Essen habe sie auch. Vor und auch mit Menschen geniere ich mich zu tanzen. So so, das sollten wir ändern, stellt Madeleine fest. Gern, ein anderes Mal, have a good night again. Und was wird nun mit dem Essen? Um die Uhrzeit schwierig. Ob ich noch sauer sei, dass die Glut der Zigaretten Madeleines meinen Lieblingssweater angekokelt habe. Ich ziehe meinen Pullover aus und entdecke zwar in der Achselnaht ein größeres Loch, bezweifle aber, dass Madeleines dafür zuständig ist, schließlich kann ich mich nicht erinnern. Alle Pflege- und Produkthinweise sind aus den Innenseiten sauber herausgeschnitten. So ziehe ich den Pullover versehentlich verkehrt herum an, was ich am V-Ausschnitt auf meinem Rücken merke. Trotzig kremple ich ihn bis zum Ellenbogen hoch. Als Kind habe ich bei jedem Regen auf Gewitter gewartet, mich mit einer Taschenlampe ausgestattet und die Tempiwechsel in meiner Umgebung verortet. Heute verbringe ich diese Zeit mit dem Spiel mit Oberteilen - wie oberflächlich von mir. Ich begebe mich auf den Weg zur S-Bahn. Das mögen zwei Minuten sein. Wie ein grell ausgeleuchteter Schatz liegt das Glasdach des Bahnhofs auf 10 Meter hohen Geschäften. Die Regentropfen auf meiner Brille brechen den Glanz von vorn. Mir kommen mit Döner, Pommes und Flaschengetränken ausgestattete Touristen entgegen. Sie bieten mir Bier an, ich verneine lächelnd. Wie man "Hirschbräu" ausspreche? Es liegt dir auf Zunge, my friend. Mit totem Fleisch in der Hand, auf dem Weg zu einer Veranstaltung mit dem Ziel, lebend Fleisch zu fangen, indem man das vom Alkohol betäubte Fleisch in Schwingung bringt. Umgekehrt würde eine auf Salat basierende Partnersuche sicher nicht klappen, schließlich haben Grünzeugesser bei vielen Frauen keinen erotisierenden Ruf. So dürften auch Dates in einer Salatbar eine Rarität sein. Ich habe seit Längerem keinen Salat gegessen und währenddessen Dates gehabt. Der Zusammenhang ist damit nachgewiesen. Einer der Touristen fragt mich, wie es zu, zum oder zur Lucky Boob gehe. Davon habe ich nie etwas gehört, weise ihn aber mit gespielter Sicherheit den Weg. Ich kaufe mir einen weiteren Kaffee und dabei fällt mir ein junges Paar auf: auf die Frage, welche Zugabe sie zu ihrem Imbissmenü gern hätten, wünschen sie sich etwas Grünes mit Sauce, halten sich dabei die Hände, geben sich Küsse und nehmen eine Salatschale entgegen. Allein auf Partys zu gehen hat zahlreiche Vorteile. Details behalte ich für mich. Ich finde erneut ein Geldstück auf der Straße - mit dieser Nummer sollte ich mich selbstständig machen. 5 Meter entfernt knickt eine Frau um, da sie ihre Schuhe nicht im Griff hat. Ich strecke ihr meine Hand entgegen, was sie als Anmache versteht. In diesem Moment steht ihr von als bezeichneter Freund neben mir. Nichtsdestotrotz helfe ich ihr nach oben. Darüber fangen die beiden zu streiten an und ich verstehe kein Wort, obwohl ich jedes einzelne Wort kenne - zwischendurch fällt der Satz "Ich hab Beziehung - ich brauche keinen Fernseher, mir egal, was läuft". Überhaupt: Worte nerven mich. Wo bleibt die Liebe, wenn man heute Liebe sagt? Liebe ist einfach ein weiteres Wort geworden. Alles hat Liebe für jeden. Am nächsten Morgen wird sich die Frau mit kaputtem Schuh von an den Wänden ihrer Wohnung montierten Harmonie-Weisheiten berieseln lassen und den Zwist mit ihrem Zukünftigen in den Emo-Orkus verfrachten; oder sie zieht sich Harmonie in Form eines weiteren Paares aus dem Schuhschrank. Dabei ist Harmonie auch keine Lösung; wer nicht streitet, hat sich bald nichts mehr zu sagen. Während dieser Grübeleien hatte ich Zeit nachzudenken: ab morgen werde ich auf kurzärmelige Oberteile umsteigen. Das möchte ich mir notieren, und stoße dabei auf eine Memo, morgen Abend ins Kunstmuseum eingeladen zu sein. Diese Erinnerung unterziehe ich einem Löschvorgang. Ich kann die Worte nicht satt sein und andererseits für Werke glühen. Aus einem Lokal dringt immer lauter Schlagermusik - die singenden Tyrannen vertreiben mich vom Platz, mit 6 kmh gehe ich Richtung Zugbesteigsammelstelle aka Bahnhof. Auf dem Grund der Tanzfläche werde ich Terrain haben, dem ich vertraue. Eine Stadt ist kein Spielzeug. Meine beiden Hände klappe ich zu einem Rechteck, halte dieses über meinen Kopf, nehme den Mond in den Kasten und frage ihn, ob er sich nicht damit übernimmt, Sonne zu spielen: diese Nacht fühlt sich wie ein Tag an. Die Bahn lässt auf sich warten. Ausgestattet mit offenen Schnürsenkeln, höre ich, in den Kaffeebecher pustend, beim Hin- und Herlaufen, 4 bis 5 junge Französinnen ein Lied anstimmen. Ich finde darin keine mir bekannte Melodie, allerdings würde ich mit meinem Wissen über das Liedgut des großen Nachbarn jede Trivial Pursuit Partie verlieren. Jedenfalls sind es doch nur 3, die jedoch für 5 singen und 17 Zuhörer unterhalten. Ich bleibe stehen, als der Kurzauftritt vorbei ist, und wache erst wieder auf, als der schwarze Saft heiß an meinen Fingern herunterläuft. Eine der Sängerinnen bietet mir ein Taschentuch an. Ich streiche mit der Hand durchs Haar und grinse breit. Ich frage, womit man sie zum Lachen bringen könne. Mit einer pfefferminzhaltigen Zigarette. Ihre beiden Freundinnen treten näher und während die eine auf ihrem Smartphone spielt, dreht die andere sich eine drogenhaltige Zigarette. Angesprochen auf meinen offenen Schnürsenkel verstehe ich statt "cordon" "condom" und frage, vollkommen nüchtern, seit wann Schuhe sich fortpflanzen und wozu ein zugeschnürtes Kondom zu gebrauchen sei. Für diese Frage kassiere ich drei ratlose Gesichter. Beim mich vor weiteren Peinlichkeiten rettenden Sprung in die frisch eingetroffene Bahn bleibe ich am linken Schuh hängen, und gerate so nach vorn fallend in den Waggon. Während des Sturzes fallen mir eine Werbung für Kopfschmerztabletten, die Augen zweier Streitender, ein Sakko aus den 80er Jahren und sich auf einem sozialen Egonetzwerk ihre Zeit vertreibende Schüler auf. Im Büro werde ich wieder wach. Jemand hat mich geduscht, frisch eingekleidet und so auf Vordermann gebracht, dass mir bereits wieder Kundenaufträge anvertraut werden. Ich arbeite für die Agentur WANGP. Wer auch immer mich tagfertig präpariert hatte, hatte dabei vergessen, mir meinen Notizblock mitzugeben. Dieser Block beinhaltet die Zusammenfassung meiner Arbeit, er ist das Gehirn meines Arbeitnehmerdaseins und misst in etwa 30 cm * 40 cm. Somit bin ich gezwungen, das erste Kundengespräch des Tages - mit dem Inhaber eines Comicverlags - ergebnislos zu herunterzuspulen. Zwar sind fast alle Unterlagen abgelegt auf dem Rechner, allerdings ohne die handschriftlichen Vermerke, Randnotizen und Hervorhebungen - diese sind aber der eigentliche Schatz. Hätte ich den Termin auch ohne diese Dinge überstanden? Mit Sicherheit. Und genau die fehlt mir. Am Schwarzen Brett bringe ich eine Vermisstenmeldung für meinen Block an. Die Mittagspause, die aus einem Spaziergang und Kaffee bestehen wird, ziehe ich deutlich vor 12. Beim Schließen der Tür merke ich, das Zugangsticket vergessen zu haben. Ich gebe den Tag noch nicht verloren, viel verlöre ich nach aktuellem Verlauf jedoch nicht. "Verlöre" bringt mich zum Lachen. Verlöre! Es gibt Worte, die lassen an der dazugehörigen Sprache zweifeln. Nur für Ausdrücke, die hässlich, umständlich und vornehm zugleich sind, meldet sich hier mein Faible. Von draußen vor der Tür bis zum ersten Café fällt der Weg unendlich kurz aus, denn schon ich 1x Spazieren, mit Zucker, schwarz, bestellt, woraufhin ich erfahre, dass Spazieren gerade ausverkauft ist - wie es stattdessen mit einem Kaffee auf zwei Beinen wäre? Die Dame hinter mir hat ihre Geduld verloren und reicht mit langem Seufzer eine Riehe festlicher Kleider über den Tisch - ich befinde mich in Wirklichkeit in einer Textilreinigung und wurde gerade verarscht. Wer auch immer mich heute einpackte, verrichtete dabei wohl sein Geschäft auf der Scheißkonsole. Ich begebe mich auf die Suche nach einem Mülleimer, der groß genug ist für einen ganzen Tag. Mein Appetit hat das Laufen gelernt, denn ich finde mich in einem kulinarischen Stehimbiss wieder. An der Wand hängt eine Tafel, auf der mit Kreide Tagesgerichte feilgeboten werden. Statt den Inhalt zu erfassen, beglotze ich diese vergängliche, oft übersehene, rasante, zweckdienliche, unendlich unbezahlbare Schönheit namens Schrift. Von allen Hammern dürfte Schönheit der leichteste sein. Ein nicht beabsichtigter Rammler in meinen Rücken zerschießt diese Wolke und mit ihm mein Vorsatz, die Frau an der Theke zu fragen, ob sie für diese Lasziv-Aufdrucke über unseren Köpfen verantwortlich sei. Der Gast hinter mir beherrscht neben dem Treten auf Hüfthöhe auch jenes Auftreten, was Stampfen heißt. Ich würde ihn vorlassen, nähme damit jedoch nicht Teil an der unbezahlten Beratungsstunde, die die Frau vor mir in Anspruch nimmt: ob der Spinat zusammen mit Möhre und Aubergine noch bekömmlich sei in einer Teigtasche? Ob das Käsebaguette mit Ei auch ohne Käse und Ei angeboten wird? Ob noch etwas Apfelmus von letztem Jahr übrig sei, denn das wäre ein besonders guter Jahrgang gewesen? Ob man den Mohnkuchen rauchen dürfe? Ob es wirklich stimmt, dass man Mozarella kauen muss, um ihn zu verdauen? Die Thekenmadame nimmt alle Scherzfragen gelassen, unterschlägt dabei aber, dass ihre Kundin nicht mit Albern, sondern der Zusammenstellung eines körper-, lebensabschnitt- und mondphasegerechten Menüs ist. Sie spricht so langsam, dass man wiederum zum Zuhören gezwungen wird, um dem Ende des Satzes zu frönen, schließlich ist man auf endende Sätze konditioniert. Ich nenne sie Elisa. Und die Bedienindianerin Elisa2. Im Filmabspann werden bei unbedeutenden ebenfalls einfache Nummern vergeben. Der Droh-Kumpan hinter mir hat einen Ayran ausgetrunken und genehmigt sich nun eine Limonade. Sein Magen möchte ich nicht sein. Auch kein anderes Organ. Er dürfte Raucher sein und im Büro viel Schokolade naschen. Auf dem Weg des Bestellabschlusses spannt Elisa ihre Hirnlappen neu auf und begibt sich auf große Fahrt ins Kichererbsensalatland. Elisa2 rollt ihre Augen wie ein Polarlicht - ich werde sie im Zirkus anmelden. Vorher gebe ich noch meine Bestellung auf: ich hätte gern das genaue Gegenteil eines Kichererbsensalats. Sie gibt vor, nur das Wort Salat verstanden zu haben und empfiehlt mir das hausgemachte Dressing, frisch aus dem Keller, eigene Herstellung und so. Schließlich einigen wir uns auf Halloumi im Reismantel, dass heißt Sushi ohne Fisch und Stäbchen. Dazu nehme ich einen Ayran samt Limonade. Warum in diesem Imbiss ein Schwarzes Brett mit bunten Zettelbergen hing, wird ein Rätsel bleiben. Mit den Gesuchen und Angeboten, den weltanschaulichen Mitteilungen, Werbebotschaften und Postkarten verbrachte ich die Zeit bis zu jenem, für mich bestimmten, dampfendem Brot. In der oberen, linken Ecke annoncierte ein selbsterklärter Brettspielsammler, dass ihm andere bitte bei seiner Leidenschaft behilflich sein sollten, und ihm nicht mehr verwendete Exemplare aushändigen - er würde diese auch abholen, ab einer Menge fünf Stück. Etwa einen halben Meter weiter unten stellte sich eine regelmäßig tagende Spielerunde vor, mit dem Ziel, neue Teilnehmer zu werben. Den Spiele- und die Spielersammler hätte man verbinden können, allerdings fühlte sich diese Formulierung außerirdisch an, so dass ich die Finger von beiden Abreißern ließ. Wohnungen, so begehrt, dass bereits für Kochnischen Mieten verlangt werden; sich als Couchverkaufsangebote tarnende Sexanzeigen; Paartherapeuten, die den Gebrauch von Sexanzeigen überflüssig machen möchten; Vermisstenanzeigen für Bargeldscheine; gefälschte Parteienwerbung; Comicstrips aus dem Untergrund; eine Wettervorhersage für gestern; eine Selbsthilfegruppe der anonymen Online-Junkies, mit URL zur Info-Seite; ein Mann, auf der Suche nach einer Frau, die ihm Wäscheklammern an seinem Körper anbringt; Rätselgewinnspiele mit Inklusivantwort; ein Aufruf eines Fernsehsenders für Teilnehmer an einer Doku übers Scheitern im Leben; Freiabos für Hochglanzmagazine; T-Shirt-Aufdrucke. Vielleicht saß ich doch keinem Schwarzen Brett, sondern einem Wandflohmarkt gegenüber. Auch eine Lesebühne samt Hinweis, dass man sich jeden Freitag die Ehre gebe, hängt auf diesem 1,5 qm² großen Teppich - die Coupons für den Discounter um die Ecke erfreuen sich 200 fach größerer Beliebtheit. Erneut eine Nachricht von Madeleine. Direkt noch eine. Nummer 3. Ob ich keine Lust hätte, ihr zu schreiben? Ich schreibe "Doch" zurück, erfahre jedoch, dass dies zwar eine Antwort darstellt, allerdings zu kurz ausfällt. Sie stecke gerade in einem Stau, habe Kopfschmerzen und sei zu 300 % übermüdet, aber der Tag fühle sich trotzdem süß an, wie ein Umwelt gewordener Schokoladenriegel. Elisa2 grüßt jeden ihrer Gäste mit Vornamen und der Erwähnung des Gerichts, welches sich dieser beim letzten Mal gönnte. Daraus schließe ich, hier kein zweites Mal herkommen zu können, denn sie kennt meinen Namen nicht. Madeleine bringt mein Smartphone erneut zum Ruckeln. Ob ich ihr ein DJ-Set empfehlen könne? Ich rätsele, finde das zu anstrengend, und verneine. Ob ich ein Geheimrezept gegen Müdigkeit parat hätte? Sekundenschlaf. Im Auto? Du stehst, Alternativen? Schokolade. Habe ich nicht. Gummibärchen in einen Wasserglas legen, ein paar Minuten einziehen lassen, und dann ab damit in den Mund. Das hast du dir gerade ausgedacht! Stimmt. Extra für mich? Ja. Wie süß von dir. Helfen meine Tricks auch gegen kilometerlange Reihen von mit Benzin gefülltem Aluminium? Nicht auf die Entfernung, nein. Elisa2 spielt ihr einnehmendes Lächeln Gast für Gast für Gast aus. Sie dreht ihren Kopf leicht weg, duckt sich leicht, dreht etwas zur Seite, als schmelze sie von den Worten des Gegenübers, dabei bringt sie die Schmelze mit ihren aufsteigenden Mundwinkeln. Madeleine erkundigt sich, ob ich jenen Horrorfilm gesehen hätte, in welchem ein Stau in einem Gemetzel endet? Bestimmt, nur merke ich mir keine Slasher. Wir sollten den Film mal gemeinsam schauen, sobald ich mehr Zeit habe, gern noch diese Woche. Ich finde kein Fragezeichen und lasse Madeleine ihr Statement. Das Aufstoßen bringt mich zum Aufstehen, ich wische mir die Schnute ab, sammle Flasche, Becher, Teller und Besteck ein, lege alles bei der Geschirrrückgabe ab und hole mir beim Verlassen des Imbiss einen Gruß inklusive meines Namens ab - ich hatte mit Karte bezahlt. Ich entgegne "Tschüss, Elisa2 ", ziehe dabei ein zerfließendes Lächeln und stelle hautnah fest, dass Staus auch ohne Gemetzel möglich sind. Berufsverkehr, Berufs-stand - sicher Synonyme. Madeleine schreibt: "Zehn Euro für deinen Gedanken". Retour: "Ich denke an zehn Euro". "Du bist ein Original". Nein. Etwa 20 sich ratlos anschauende, ihre Münder leicht offen haltende - als würden sie eine Fütterung erwarten -, mit dem Gedanken, weiterzugehen, und dann von Verführung festgenagelte, angezogene und weiter Zuschauer anziehende, vergnügte, abgestoßene, am Überlegen, einzugreifen, doch vom Spiel becircte, Hände abwechselnd vors Gesicht und in die Hüfte stemmende, das Ende einer Liebe witternde, auf die Explosion einer Ehe wartende, von Fremdschämen aufgeladene, ihre übersalzenen, überfetteten, überteuerten Mittagsspeisen verdauende Menge von als Menschen verkleideten Menschen umringten eine Frau und einen Mann, die nicht nur volle Hälse hatten, sondern mit vollen Hälsen miteinander stritten. Während der Mann seine Fassung bereits an einer unsichtbaren Garderobe aufgehängt hatte, war die Frau nur noch am Abwinken jeden Wortes, welches der Typ mit Bart, Brille und blauen Augen von sich gab. Der Mann hatte Beschimpfungen im Repertoire, die eine Notiz wert gewesen wären, zum Beispiel, dass die Waschmaschine daheim seinem Leben mehr gebe als seine Frau. Ansagen wie diese führten zu erhöhter Frequenz beim Abwinken. Zu Schade, dass es keine kalten Duschen to go gibt: hier hätten Furien gestoppt. Ein kleiner Junge, an der Hand seiner Mutter, hatte beim Mittagessen entweder herumgebockt, oder war einfach verfressen, denn er schleckte vergnügt an seinem Eis, und schaute bei Schimpfworten, die ihm neu waren, fragend zu seiner bestens unterhaltenen Elter hoch. Warum gibt es keine Emojis in Lebensgröße? Warum gibt es Gelassenheit nicht zu essen? Warum gibt es keine Pop-Up-Parties, um sich tanzend zu versöhnen? Warum gibt es keinen break dance gegen break ups? Warum gibt es Duschen nicht in Paargröße? Warum gibt es Sorgenfreiheit nur in Magazinen, die jene für sich beanspruchen? Und warum wird so selten erwähnt, dass die Sonne so warm bleiben, Schokolade so schmecken, Musik so klingen und Spiele so erheitern werden wie bisher auch. Ein schwules Pärchen schließlich wird den Streit schlichten. Die Pause geht nicht um und das Essen bekommt mir nicht. Eine in dieser Woche eröffnete Buchhandlung lädt zum Besuch ein. Ich biege ab, und sehe mich 3 Sekunden später bedrucktem, verarbeitetem, gebundenem und mit Preisen etikettiertem Holz gegenüber. Eine Dame lässt sich fürstlich beraten über Sachbücher zum Thema Umgang von Angehörigen mit Demenzerkrankten, verlässt den Laden allerdings mit einem Rätselblock zum Aktionspreis. Die Buch- ist auch eine Seifen-, Spielzeug-, Geschenkverpackung-, Musik- und Devotionalenhandlung - ein Kaufhaus für Menschen, die von sich behaupten, in kein Kaufhaus zu gehen. Auch hier ein streitendes Paar - ich habe den Anlass verpasst. Ob man mir helfen kann? Ja, ich suche ein Buch, in dem beschrieben ist, wie man erfolgreiche Katzenvideos dreht. Die Verkäuferin setzt nun ein Lächeln auf, als würde sie Nachrichten ansagen. Tut uns leid, vielleicht finden sie im Beststeller-Regal etwas Passendes. Davon gehe ich zwar nicht aus, gehe aber trotzdem hin. Ob wohl in Buchhandlungen auch der Duft von Büchern versprüht wird, so wie Bäckereien und Backstände es bei Brötchen tun? Ob wohl die Verkäufer hier eine Vorgabe haben, dass Kundinnen von Männern, und männliche Besucher von Frauen bearbeitet werden? Ob wohl die Regalhöhe der Bücher von deren Profitabilität abhängt, so dass man intuitiv nach jenem Buch greift, welches dem Händler am meisten bringt? Von den Titeln merke ich mir keinen, nur das Beleuchtungskonzept gibt diesem drei Meter hohen Erfolgswortekoloss eine sakrale Anmutung. Überhaupt lässt das Rotbuchenflair zusammen samt dem Dämmerlicht vergessen, dass dies hier final als Verkaufsveranstaltung dient. Ich stoße auf und erbreche dabei versehentlich ein paar Brocken, und wische diese per Schuhspitze unters Regal. Als ich den Laden verlasse, werde ich zurückgerufen. Befürchtend, dass die Bedienung meine Mageninhalte gefunden hat, friere ich ein. Eric sieht noch aus wie in der Schule und wird auch zu dieser Geschichte nichts beitragen. Mich habe er gleich erkannt - wo ich meine Gedanken hätte? Ich rechne aus, wie viele Minuten ich zu spät komme, wobei niemand auf die Zeit achtet, solange man keinen Termin hat. Er verbringt in der Stadt gerade seinen Urlaub. Ganze 2 Wochen. Er plane, hierherzuziehen. Es sei somit kein echter Urlaub, mehr eine Wohnungsbesichtigungstour, für die er sich freigenommen habe. An dieser Stelle sollte ich nachfragen, ob er schon etwas Passendes gefunden hat. Stattdessen begutachte ich seine Schuhe. Er wird mir den Erfolgsstatus gleich berichten. Die Schuhe scheinen sich über 100 Teilen zusammenzusetzen. Trotz des Aufwands sieht das Paar billig aus. Eric ist in seinem Leben oft umgezogen, mindestens 1 x pro Jahr. In diesem einen Jahr hatten wir so wenig miteinander zu tun, dass ich mich womöglich nicht einmal an seinen Namen erinnere, und mir Christoph nur einbilde. Er hatte uns bei seiner Vorstellung vor der Klasse ohne Not erzählt, dass seine Familie so oft umziehe, weil Mutter und Vater Probleme hätten, regelmäßige Arbeit zu finden. Später stellte sich heraus, dass die neuzeitliche Mietnomaden sind. Einmal nahm seine Mutter an einem Elternabend und löste dort den einzigen Elternabendstreit des Jahres aus. Details erfuhr ich nicht. Vom Vater hatte ich gehört, er trüge gern Hut. Die Mutter gern Kostüm. Die Bedeutung von "Kostüm" hat sich im Lauf meines Lebens mehrfach geändert, weshalb sie vielleicht Schauspielerin war. Zum Abschied hatte uns Eric erklärt, nun gehe für ihn ein neuer Horizont auf, was aber einem Zehnjährigen sehr oft widerfährt. Er würde auch hier nicht länger als 1 Jahr bleiben. Wer mit sich selbst anfangen kann, wird das in keiner Stadt ändern, mag er sie und sich noch so sehr verpacken. Dass jene Petra diesen Eric in dieser Stadt während dessen Urlaubs besucht und mir diesen Plan unbekannterweise beschreibt, wirkt so sehr konstruiert, dass ich mir von innen einen Bauhelm aufsetze und Eric bitte, Petra nett zu grüßen. Noch vernommen habe ich, dass sich Eric als Schriftsteller oder Autor - genau wusste er es nicht - versucht hat. Bei Besuch von Lesebühnen hätte er Geschmack daran gefunden, jenen Bullshit, den man nicht auf Toilette loswird, auf Papier zu schmieren. Daheim sei er jedoch nie an die Lesebühne herangekommen. Schreiben sei zwar keine Frage des Ortes, aber die Wohnung sei nun mal eine Frage des Menschen blabla. Er gefällt sich in diesem Bild und ihm zuliebe sei es hier erwähnt. Er hätte mehr Zeilen als Anschläge der Schreibmaschine herausgehauen. Eric hatte keine Schreibmaschine. Sein Unvermögen im Tanz mit Worten - er probierte sich an einem Buch mit Interviews ohne Worte - habe dann zu anhaltender Niedergeschlagenheit gegenüber seinen Mitmenschen geführt. Liebe, Arbeit, Familie - Spiele zum Verlieren. Wohnung, Geld, Kinder - keine Sicherheiten. Und so gab er sich stark alkoholhaltigen Verlierergetränken hin, baute eine beachtliche Sammlung von Horrorfilmen auf und hatte ein mit den Händen greifbares Faible für Verschwörungstheorien hinsichtlich der abnehmenden Trinkbarkeit von Wasser, welche das Ende der Menschheit beherberge. Wegen der Schönheit des Genres: Die Horrorfilme können nichts dafür, Teile der Kaufentscheidung eines Falschen gewesen zu sein. Dann lernte er Petra kennen. Mit ihr bekam ihr wieder Lust auf ein als früher spießig empfundenes Leben. Eric verwendete die Wort spießig, Verschwörungstheorie, Verlierergetränk und auch Schreibmaschine. Jedenfalls sei er nun - ein weiteres seiner Beiworte - klar und bei sich selbst. Erst, wer alles erfahren habe, werde zum Alleskönner. Bitte kannst du mir dieses Buch kaufen? Du warst schon immer lustig - lass uns auf Petra warten, vielleicht legt sie dir den Betrag aus. Titel des Buches: "Ich lasse hundert Sonnen und Scheibenwelten für dich scheinen". Zurück im Büro. Mein Notizblock hat sich nicht nur wiedergefunden, sondern liegt mitten auf meinem Schreibtisch. Einen per Post-it transportierter, handschriftlichen Vermerk der Finderin, Laura, übersehe ich, da mir diese auf meine Schulter klopft. Ob ich nun damit meine Ruhe wieder hätte? Ja. Eine Eigenwerbung des Formats "Meine Arbeit habe ich im Griff - der Block erinnert die anderen nur daran" dreht mehrere Runden im Hinterkopf, gibt sich aber meinen fehlenden Karriereambitionen geschlagen, zumal Laura karrieretechnisch nichts für mich ausrichten kann. Ich werde den Block in Zukunft 1 x wöchentlich kopieren, mit nach Hause nehmen und dort verstauen - Trennung ArbeitRest hin oder her, jedenfalls wappnet mich das gegen Vorfälle wie diesen. Ob sie, da sie nun etwas gut habe, einen Wunsch frei habe, fragt Laura, ohne dass ich den ersten Teil der Frage verstanden hätte. Wenn es ein guter Wunsch ist, ja. Fein, dann lass uns morgen etwas essen gehen. Morgen ist Samstag. Ist das ein Ja? Ich kneife mich 2 x hinter der Stirn und bejahe. Laura rollt einen Bericht über einen köstlichen Sushi-Laden aus, den sie gern testen würde mit mir. Sushi zum Frühstück - exotisch, vor dem Abend mag man eher Rustikales und Vertrautes. Mit einem breiten Lächeln und dem Hinweis, dass wir an meinen Exotik-Vorstellungen arbeiten sollten, wischt Laura alle bei mir gewitterten Bedenken weg. Wir tauschen Nummern aus, da man das so handhabe, wenn man das so mache. Beim Eintrag Lauras in mein Telefonbuch sehe ich Namen, die mir nichts sagen. Mit einem Wink Richtung Toilette dreht Laura ab. Unser Plausch wird damit unterbrochen, und ich finde meine Hände wieder, als deren 10 Finger die 5 Buchstaben eines Sportportals eintippen. Ich rufe Spielerinterviews auf, denn Millionärsgesichter mit Schweiß stellen eine Rarität dar, an der ich mich noch nicht satt gesehen habe. Bei Laura ging es flott, und schon hat sie sich zu einem Kollegen, dessen Namen ich mir nicht merke, gesellt. Der Fußballer berichtet, Teil einer Schlacht gewesen zu sein, in der man sich nichts geschenkt habe - weder Spielgerät noch Abtastzeremonien. Laura hat ein Repertoire an Masken, dass sie kleine Theaterstücke ausstatten könnte - leider überzieht sie oft genug, und tritt in die Pedale, ohne auf einem Fahrrad zu sitzen. Der Trainer habe die Mannschaft lückenlos eingeschworen, so dass die Spieler befreit von Fragezeichen auflaufen konnten. Der namenlose Kollege nimmt das Mienenspiel an, unterliegt aber nach etwa 90 Sekunden, da Laura einfach eine Frau mit den Vorzügen einer Frau, die ihre Vorzüge spielt, ist. Der Reporter hakt Phrasen nach, um die vorgeschriebene Interviewzeit einzuhalten, und kassiert dafür Antworten, die bereits 1.000 andere Millionäre nach 500 anderen Partien gegeben hatten. Ich überlege, den beiden ein Planschbecken hinzustellen, so ausgelassen tollen feuchter werdende Worten hin und her, nur geht ein mich die Rücksprache mit der Geschäftsführung erinnerndes Fenster mit entsprechender Terminserie auf, so dass ich meine 2 Sachen packe. Ein keine Spuren hinterlassendes Interview geht zu Ende. Laura schiebt dem Kerl eine Sushi-Karte zu und versieht diese mit ihrer Telefonnummer und einer Zeitangabe: Sonntag, 18 Uhr. Mein wöchentliches Jour fixe mit Monika hätte ich mir - wie in jeder Woche - gern erspart. Selbstverständlichkeiten ausschmücken und dazu eine Miene schneiden, als nähme ich ernst, was ich nicht für voll nehme, zählt nicht zu meinen Stärken. Während mir die Müllabholspezialisten durch den Kopf gehen, die, nachdem sie getrennte Sorten Müll eingesammelt hatten, alles auf einen Haufen werfen, dürfte Monika gerade aufzählen, welchen unserer Kunden sie innerhalb der letzten 6 Tage welche Vertragsfrechheiten abgewunden hat, einfach aufgrund ihres fabelhaften Charmes, ihrer Clever- und Coolness. Ich nicke ab, lasse Schlüsselworte fallen, die mir schlüssig erscheinen. Sie hat für Worte, Syntax und Präzision ein eigenes Notensystem, und man verlasse ein Gespräch mit mindestens einer 2. Sehr gute Noten gibt es für Zahlen, Fristen, Entscheidungsvorlagen, Tratsch, Euros und Fachvokabeln. Monika führt die Geschäfte dieser Agentur. Ihr Vater ist Frauenarzt, ihre Mutter Personalchefin, ihre Geschwister feilen entweder an Doktorarbeiten oder haben sich super effizient verheiratet. Wenn eine Vorzeigefrau einen Vornamen hätte, er lautete Monika. Sie spricht gern viel mit den Händen und ich versuche, hier mitzuhalten, allerdings könnte ich eher Schattenkino mit meinen beiden kleinen Zehenspitzen aufführen als diese Gestenfabrik Monika'schen Ausmaßes zum Dampfen zu bringen. Auf der Suche nach einem das Ende indizierende Ziffernblatt - Monika liebt es, neu zu dekorieren, weshalb ihr Büro Woche für Woche anders aussieht - bleibe ich an keiner Uhrzeit, sondern einer Whiskey-Flasche hängen. Ich unterbreche unsere Geschäftsführerin mit der Frage, ob sie einen langen Abend gehabt habe oder bereits am Vormittag trinke. Amüsiert stellt sie fest, dass sie mich hiermit zum Head of Aufmerksamkeit ernennt. Ein Anruf ersparte mir die Replik. Sich eine Taktik zurechtlegend, nimmt sie den Hörer ab, nennt ihren Nachnamen, und gibt sich überrascht über die Anruferin. Ihr Faible für geschlossene Fragen führt zu Sätzen wie "Wann wird unterschrieben?", "Welche Frist wurde gesetzt?" und "Wer ist Ansprechpartner?", gesprochen von einer Frau, die mit jedem Wort auch eine Wortnote verteilt. Monika sammelt mittelbekannte Kunst - sie vermeidet hier das Wort mittelmäßig, denn das könne Kunst nicht. Neben einer begehbaren Bibliothek soll ihr Haus eine Galerie beherbergen. Auch an den Bürowänden hinterlässt das in Rahmen gefasste Spuren. Auf dem Schreibtisch ein elektronischer Fotogefäß, auf dem im 3 -Sekunden-Takt Bilder von Feiern, Essen und Weinproben durchrauschen. Die Wandkunst gibt mir wenig, und wenig gebe ich ihr zurück. 4 Taschen mit Boutiqueneinkäufen wecken mich eher auf. Diese winzige Verzögerung von etwa 2 Sekunden, die sie vorm Satzende einlegt, bringt die meisten Zuhörer dazu, sie nicht zu unterbrechen. Auf einem der Werke scheint Knete gekocht und dann plattgedrückt worden zu sein - das 120x120 cm messende Resultat trägt das Kürzel "Erinnerung an Silvana". Der Zugang zum Büro erfolgt durch eine Doppeltür, wie man sie von Arztpraxen kennt: auch hier auf Papier gegossene Zeugnisse feucht-fröhlicher Anlässlichkeiten. Spricht der Anrufer, tippt sie mit sich abwechselnden Fingern auf die massive Tischplatte, und die Abstände zwischen den Aufsetzern legen nahe, dass sie die Worte mitzählt. Die Tippgeräusche werden kräftiger, je mehr es werden. Mir neu: ein Getränkekühlschrank neben der Couch. Monika hält eine Hand vor die Sprechmuschel und wirft mir ein "Komm doch in 30 Minuten noch einmal" zu und dreht ab. Gelegentlich spiegelt sie sich im Fenster. Um die Eigensonne aufsteigen zu lassen, hatte sie die Jalousien nach unten gefahren. Monikas Zimmer verlasse ich zu nur 90 %, da ich im Zwischengang bleibe. Beide Türen sind von innen gepolstert, und ein Dämmerlicht gibt dem Übergangsmeter seine Klasse. Ich klimpere mit den Büroschlüsseln in meiner Hosentasche. Von ihrer Mutter hat Monika diese Firma übernommen. Gewisse Familien haben gewisse Vorteile. Nach jedem Gespräch mit Monika stehen 1.000 neue Einträge auf meiner Agenda, teils auch Aufgaben für die Arbeit, teils Uralt-Vorsätze wie das Auffinden neuer Worte für die Fortbewegung von Wolken: dass die größten Wesen auf diesem Planeten kaum beschrieben sind, bringt mich zum Schaudern. Zum Beispiel ein Verlag, der Literatur zur Schriften von Wolken herausgäbe, arbeitete sicherlich nicht wirtschaftlich in monetären Größen, trüge aber mit nur einem neuen Wort zum Weißeriesenerleben bei. Wolken ahern, tillowern, kleoporren und monoken. In jenem Jahrzehnt, in dem man Wolken wiederentdeckt, würde ich gern morgen früh wach werden. Die Fenster in meinem Büro eignen sich prima zum Wolkenstudium. Die Ärztin, zu der ich als Kind gegangen bin, hatte eine ähnliche Doppeltür. Bei den Besuchen dort war ich derart angestrengt konzentriert, dass ich auf nichts konzentriert war, und nicht einmal Ausschau hielt nach ahernden, tillowernden, kleoporrenden und monokenden Ungetümen. Ja, ich hatte sogar die Befürchtung, dass die Ärztin in der Praxis wohnt, und dass, sollte ich etwas kaputt machen, andere Menschen noch mehr erkranken würden. Mein 1.000 Dinge zu tun von damals bestand aus 1.000 wechselnden Ausdrücken und Selbstbefehlen für ruhig bleiben und nichts Falsches sagen. Ein uncooleres Kind hat es auf unserer Schule nicht gegeben. Sortiere ich meine 1.000 Dinge, die ich heute noch zu erledigen hätte, um dem Tag eine 3+ geben zu können, nach Koffeingehalt, stände ein frischer Kaffee vorn. Monika lässt sich so etwas bringen, ja, ihr wird das von den Lippen abgelesen, bevor der Caffè americano dort aufsetzt. Als Unternehmer wird einem vieles abgenommen. Ich nehme lieber Wolkenwanderungssynonyme. Dafür würde mir Monika gern eine scheuern, nur schadet zu viel Nähe zwischen Chef und Untertan dem Angestelltenverhältnis. Zu meinem nächsten Geburtstag wird mir sie wie jedes Jahr ein Ratgeber zum Erreichen von Zielen schenken - sie nimmt die Titel von Büchern abstandslos wörtlich. Beim Öffnen treffe ich mit der Tür beinahe Vanessa. Nicht ich, sondern sie entschuldigt sich. Sie entschuldigt ein zweites Mal, da ich dieses Wort nicht mag. Ein drittes Mal. Ich wische mir über den Mund und drücke dabei meine Mundwinkel nach oben. Sähe so aus, als würde ich heute wieder länger bleiben dürfen. Meine Small-Talk-Antennen richten sich neu aus. Schaffst du deine Sachen noch, wenn du hier bis 10 sitzt? Ich zucke mit den Schultern und behaupte, mein Schlafpensum über eine Woche strecken zu können. Als sie hier neu angefangen habe, hätte Vanessa fast jeden Tag das Licht aus- und angemacht, so sehr hing sie sich rein. Man habe ihr dann auf der Weihnachtsfeier mitgeteilt, dass ihre Stelle um 5 Stunden reduziert wird. Seitdem sucht Vanessa etwas Neues, ohne allerdings Bewerbungen zu verschicken, denn diese sind ihr nie gut genug. Einmal hatte sie ein Job-Interview, am Telefon, im Büro - sie verlor dabei kein schlechtes Wort über unsere Firma. Und gestern hatte sie zwei Tüten voll mit Pfannkuchen gespendet, und allen Empfängern den Vormittag versüßt. Ich könne ihr Aufgaben abgeben, schließlich arbeitet bei uns jeder an Allem. Meine Lippen zuspitzend, stoße ich ein Pfeifen aus. Früher ging Vanessa auch unter der Woche auf Parties, und ihre Übermüdung am Tag danach verlieh ihr einen Tunnelblick, mit dem sie durch Wände zu blicken schien. Dann bekam sie ein Kind und hatte Überstunden nur noch daheim. Wenn Sie am Freitag fragen wird, was ich am Wochenende vorhabe, werde ich das Wort Party meiden. In der einen Hand einen Käsekuchen, in der anderen Anzeigenproof, drückt sie mir von beidem etwas in die Hand: von jenem soll ich probieren, und letzteren überfliegen, bitte. Als sie den Teller abstellt, erwähnt sie, die gleichen zu Hause zu haben. Gut, dass du das mir, und nicht Monika sagst. Vanessa hält inne, schmunzelt dann. An meinem Unterarm entdeckt sie einen Stempelaufdruck und verschluckt die Nachfrage samt Kuchen. Ob noch was sei`? Nein. Gut, dann werde nun gekackt. Kichernd wackelt sie zur Toilette. Auch Prinzessinnen verdauen. Mit 24 hatte Vanessa ihr Studium abgeschlossen. Sie hatte sich nicht zum Ziel, so schnell wie möglich fertig zu werden, sondern am besten alles vom Studium mitzunehmen für ihren nächsten Lebensabschnitt mitzunehmen. Das anschließende Kapitel bestand allerdings aus mehreren Monaten Arbeitssuche. Ihre Aufregung in Vorstellungsgesprächen legte man ihr fehlende Souveränität und mangelnde Sicherheit aus. Als ob das Interview etwas mit der Arbeitswirklichkeit zu tun habe. Sie hatte zu viele Ratgeber gelesen, um noch zu wissen, was zu tun ist. Zu Normalform lief sie nur auf in Gesprächen, von denen sie sich nichts versprach und auch keine Beziehung hatte. So landete sie bei WANGP. Mit Erfolg. Hinter vorgehaltene Händen schwärmte Monika von ihr. Ihre Arbeitslosigkeit empfand Vanessa zwar nicht als Makel. Dass sich allerdings auch Bestnoten nicht von selbst verkaufen, entwertete ihr Studium - gefühlt. Einige ihrer Lieblingskommilitonen verdingten sich noch immer als Praktikanten oder Volontäre. Andere feilten aus Verlegenheit an einer Doktorarbeit, um ihrer Ziellosigkeit mit einem weiteren, akademischen Grad auszustopfen. Hatte sie ein schwieriges Telefonat, fiel Vanessa in die Tonalitäten jener Interviews zurück, die ihre Suche nach einer beruflichen Unterkunft bis zum nächsten Interview verlängerten. Sie verschluckte nicht nur einzelne Buchstaben - vor allem das r und k -, sondern fragte Selbstverständlichkeiten nach, weil sie dem anderen nicht mehr zuhörte. So schürt man Panik ohne Not. Monika hatte ihr ein Coaching angeboten - der Coach hatte so etwas noch nicht gesehen, und ergoss sich in Tipps, die mit dem Fall Vanessa nichts zu tun hatten. War sie in Telefontrance gefangen, reichte ich ihr einen PostIt mit einer abwechselnden Sentenz zum Thema Dummheit, zum Beispiel "Zeig einem dummen Menschen einen Fehler und er beleidigt dich". Hin- und hergerissen zwischen der Bedeutung solcher Sätze, dem Telefonat und einer Antwort mir gegenüber, war Vanessa somit auch aus ihrem spontanen Mohnfeld gefallen und beendete solche Telefonate geschäftsmäßig einwandfrei. Zum Verschnaufen suche ich die Teeküche auf. Von Kollegen habe ich erfahren, dass die vielen mit Magneten befestigten Sinnsprüche an den Kühlschrank-, Mikrowellen- und Ofentüren aufhellende und -munternde Einflüsse haben sollen. Während ich mich der Lektüre der Sekundenspots widme, bittet mich Vanessa, ihr den Tee zu reichen. Da ich sowohl ein paar Abende als auch einige Morgen mit Vanessa verbracht hatte, sind wir ein vielerlei Hinsicht eingespieltes Ex-Paar, und zielsicher reiche ich ihr ihr Lieblingsaroma: Vanille Rooibos mit Hagebuttenanteil. Sie setzt Wasser auf, drückt ihren Hintern auf den Spruch "Zu Dir oder gleich hier?", lässt die Tüte von einer zur anderen Hand wandern und schaut in die Luft, als erschaffe sie weitere Aufkleber für weitere Türen. Währenddessen rätsele ich über weitere Kalenderweisheiten. Ob ich meinen Kaffee noch immer schwarz trinke? Sie habe lange keinen zubereitet für uns. Ja, nur im Büro verzichte ich auf den schwarzen Saft. Wie wäre stattdessen ein Vanilletee? Lieber nicht, heißes Wasser mit Kräutern, die nach Mundgeruch schmecken, schlägt mir auf den Magen, glaube ich. Das Gleiche könnte ich über Kaffee sagen, und im Story-Erzählen wirst Du kein Meister werden in diesem Leben. Sind diese Küchen-Aphorismen nicht eine Zumutung? Vanessa mustert mich, und erklärt: die kommen alle von mir und das weißt du. Ich starre auf die zugepflasterte Inventarwand vor mir und säusele, dass das nicht mein Tag sei heute. Dies als Signal nehmend, schlägt sie mir vor, das zu ändern, indem wir mal wieder gemeinsam essen gehen, zum Beispiel morgen, sie kenne einen hervorragenden Sushi-Laden, von dem jeder spricht. Ich sage nichts, was für Vanessa ein Ja bedeutet. Sie dreht ab, 50 Meter zurück an ihren Platz, und hat sich vom zu festen Andrücken ein Aufkleber abgeholt, der nun ihren Arsch ziert: "Hasi Hasi machen?". Befeuert durch den Aufkleber "Arbeits- ist Lebenszeit. Nicht umgekehrt" und überzeugt davon, dass es niemand merkt, verlasse ich das Büro eine halbe Stunde früher. Ich nehme die Treppe, vier Etagen, 126 Stufen, 16 Fenster - die Wolken sehen aus wie ein ausbrechender Zoo -, 6 Firmen, 0 Begegnungen. Im Erdgeschoss stehen leere Schampus-Flaschen und am Türgriff fange ich mir Konfettireste ein, übersehe dabei aber den Silberstaub an der Tür, der keine Minute später auch in mein Gesicht gewandert sein wird. Sicher wurde eine Firma eingeweiht, ein "Start hinauf". Was in Filmen als Neid beschrieben wird, meldet sich nahe meines Magens, und verduftet wieder. Draußen ein Hinweisschild, dass morgen eine Nachbarsfirma ihr einjähriges Jubiläum feiert und jeder kommt, der kommen darf - oder umgedreht. "Sind wir doof? Wir wissen es nicht. Jedenfalls sind wir endlich ein Jahr alt! Das feiern wir morgen. Sollte es zu laut werden, sagt uns bitte nicht Bescheid oder feiert einfach mit. Tanzen schlägt Schlafen. Nachdem die Sektkorken weitergezogen sind, hat der Lärm ein Ende". Die Kürzel bestehen nur aus einstelligen Versalien. Auf dem Weg zur U-Bahn erledige ich einen Einkauf, der aus Obst, Lachs, Joghurt - 3 Kilogramm sind 2.500 Gramm Verschwendung - und Limonade besteht. Die Limo mag ihr Geld nicht wert sein, aber nachts stehen Werte auf dem Kopf. Jeder der drei anderen Kunden in der Kassenschlange vor mir hatte zumindest ein Brotwurstprodukt und dazu ein Bier. Von den 100 Dingen, die ich noch zu erleben habe, bevor ich sagen darf, weitere 1.000 versäumt zu haben, zählen bestimmt auch der hemmungs- sowie bedenkenlose Verzehr von Bratwürsten und Bier, mit Freunden, die ähnlich viele Dinge verpasst haben und nun ihren Wanst zumüllen. Schon stehe ich in der U-Bahn, Aufrufe zu Rebellion und Selbstbewusstsein drängen aus fremden Kopfhörern herüber. Als habe ein riesiger Pinsel über alle gestrichen, unterscheiden sich die Passagiere am Ende eines Arbeitstages kaum mehr voneinander, und das allgemeine Ziel lautet: so schnell und unbeschadet wie möglich nach Hause, um sich Alkohol, Fernsehen und Selbstbefriedigung zu widmen. Bis auf die im Ultravagen bleibende Planung einer Bierwurstsession, einer Einkaufspremiere - ein Joghurt hatte Schimmelflecken - und einem Bad ereignet sich nichts mehr, ich schlafe in einem Bett, halb voll von mir, ein. Gegen 10 weckt mich das Summen meines Smartphones. Andrea fragt, wo ich bleibe. Ich sortiere mich, und rede mir dabei ein, dass meine Adern Kaffee beherbergen. Mit Andrea bin ich verabredet, allerdings erst am Wochenende. Sie wechselt auf Stakkato: Tanja - 21:30 - Moritzplatz - Kennenlernen. Ich bin keine Suchmaschine. Anschweigen. Einmal gab es in der ganzen Stadt einen Stromausfall - das war das einzige Mal, dass ich jemanden versetzte. Das interessiere sie nicht, so Andrea, ich solle mir besser schnell einen Kaffee zubereiten - eine Vollmaschine leiste in solchen Momente Dienste. Jedenfalls in 5 Minuten stehe ein Taxi vor der Tür. Trotz dieser - wäre ich Redenschreiber - Souveränitätsenteignung ziehe ich mich mit nur 5 Handgriffen an, sprühe mich ein, trinke meinen Kaffee, packe Musik ein und suche zuletzt ein Geschenkchen für Tanja. Andrea steht kurz davor, zu meckern, allerdings bringt das am Telefon nur wenig und bei mir sowieso nichts: ich würde auflegen. Dass sie das nun arrangiert, hat einen Grund, der mir gerade nicht begreiflich ist, aber was zählt das? Gut, dass ich vor zwei Stunden baden war, so habe ich noch eine Minute Luft, bevor es klingelt - dieser Satz sollte nicht eintreten, denn der Taxifahrer steht vor der Tür. Hallo, ihr Taxi ist da. Die Frage nach dem Ziel der Fahrt stellt sich nicht, da Andrea auch dies verdrahtet hat. Nur zur Sicherheit kommt ein "Moorenplatz, korrekt?" Ich bin zu beschäftigt damit, nicht zu kleckern, um zu antworten. Dies dürfte der siebte oder achte Versuch Andreas sein, mir Glück in Form einer Beziehung zu bringen. Als ob da ein Zusammenhang besteht. Andrea selbst ist verheiratet - im ersten Anlauf hatte alles geklappt, sie führt das Leben aus dem Buch. Unabhängig von der Aussicht auf Erfolg, inszeniert sie ihr Glück im Leben anderer. Sie hat nicht nur einen Sturkopf, sondern mehrere. Inzwischen bin ich so wach, dass ich mit mir selbst Scrabble spiele, und zwar in der Kaffee-Spezialedition: nur koffeinhaltige Worte dürfen verwendet werden. Sollte Tanja nicht sauer sein, Kaffee mögen, und zum Thema Heiraten keine Andrea-Einstellung haben, wäre das eine Basis. Für diesen Abend. Inzwischen hat sich auch Tanja gemeldet, was zwar das Taxi nicht beschleunigt, jedoch in die richtige Richtung lenkt: wir waren nicht Kiffhäuserplatz, sondern am Egaler Tor verabredet. Ich verspäte mich um 35 Minuten, was Tanja amüsiert - sie war eine viertel Stunde früher da, zeigt auf geleerte Gläser vor sich. Du lädst mich ein? Ich nicke. Sie hat dunkles Haar, duftet nach Vanille, spricht vor Aufregung mit den Händen und lacht wie ein Haufen von Kindheitserinnerungen. Eine Frau wie ein Versprechen oder zumindest eine Warum-denn-nicht?-Bettgenossin. Sie wird bis zum nächsten Morgen überlegen, ob dies ein Kompliment gewesen und was davon zu halten sei. Zu meiner Überraschung bestellt Tanja sich warmes, dampfendes Fleisch, einen halben Topf voll - so bezeichnet es die Karte. Dabei ist es bereits nach 10 und beim Kurzstudium fiel Knoblauch als das meist frequentierte Wort auf. Angesichts dieser Date-Dämmerung droht meine Stimmung zu kippen. Strahlend klappt sie das Papierwerk zu, legt dieses vor sich hin, hebt den Kopf verspielt nach vorn und teilt mir erstens mit, dass das Fleischgericht weder Fleisch noch Stinkegemüse enthalte, sondern eine Bowle des Hauses sei, und bittet mich, doch mal zu erzählen: hat es das Leben gut gemeint mit mir diese Woche? Ich hätte bei meiner Bestellung nachfragen sollen, ob sie ebenfalls einem Haus-Code folgt. Ihre und unsere erste Runde Quiz spiele ich mit, bestelle mir aber mir zur Sicherheit noch eine Schale Kartoffelsuppe, hoffend, dass dabei nach Übersetzung des Hauses vielleicht ein Cocktail herauskommt. Für meinen in Lachs gerollten Spargel habe ich keine Hoffnung, nachdem den vor Freude quietschenden Tischnachbarn mit den Worten Ihr Tomatenschnitzel, bitte! ein Joghurt mit Himbeersauce gereicht wird. Ich passe 2 Minuten auf nichts auf. In meiner Abwesenheit hat Tanja ausgeholt. Noch auf der Suche nach einem Sirenen-Sound erklärt sie, dass ihre Woche es gut mit ihr gemeint habe, zum Beispiel hätte sie vorgestern den halben Tag mit Unterwäsche-Shopppen verbracht. Sie dürfte lange keinen Sex gehabt haben, da sie ihre eigenen Schlüpfrigkeiten geil findet. Zwischendurch ohne Ziel die Feststellung, dass es so viele Singles gäbe, da Begegnungen besser als Sicherheit sind. Ein wie Gemüsebrühe anmutende Getränk wird ihr serviert, während ich schwarzen Tee mit Sahnehaube bekomme. Hast du den Code für diesen Laden? Es gibt keinen - die Bedienung entscheidet. Mir fehlen die Worte. Dann solltest du darüber schreiben. Einerseits wegen des späten Essens, andererseits wegen des Aufgekratztseins, die Nacht mit einer paarungswilligen Artgenossin verbracht zu haben, fällt es mir schwer, aufzustehen. Der Trick, sich einfach neben das Bett zu stellen und dort stehen zu bleiben, bis der Schlaf verflogen ist, verfängt nicht. Sodbrennen fackelt meine Lust auf Kaffee nieder. Musikalisch hat sich vor einigen Wochen ein Nichts eingestellt, so dass auch die Betätigung der Play-Taste für keinen Arschtritt sorgen würde. Mit zugekniffenen, gegen Licht kämpfende Augen ziehe ich stattdessen mein Handy vors Gesicht - ich brauche noch einen Jogging-Anzug, ein Kaffeevollautomaten, eine Handy-Tasche, eine Übergangsjacke, einen Weekender, einen Subwoofer, verschiedene Horrorfilmboxen, eine Ballpumpe, ein Set Druckerpatronen und vor allem viele Notizblöcke. Diese Einkäufe sollten in 15 Minuten erledigt sein. Es werden 90. Es gesellen sich noch Versandtaschen, Fotopapier, Jeans, Musikalben, Ladekabel und ein paar Schuhe dazu. Ob ich das nötige Geld habe, werde ich merken, wenn ich es anderer Stelle nicht mehr habe. Dispozinsen gegen Wachwerden stellt einen akzeptablen Deal dar. Pro Mammon. Die Konsumnadel sticht, ich fühle mich wachgeküsst für einen Tag, von dem ich nichts erwarte. 75 % des Warenwerts werde ich zurückschicken. Dass ich das Geld nicht habe, stört mich insofern nicht, als dass ich wenn ich mehr Geld hätte, meine Ausgaben noch größer wären, ich somit noch weniger Geld hätte. Über Nacht hatte mir Madeleine etliche Nachrichten geschickt. Dafür, dass wir uns nicht kennen, hängt sie sehr an uns. Noch nicht im Lesemodus Stufe 2 angekommen, überfliege ich den grün hinterlegten, mit mehr Satzzeichen als Buchstaben versehen Monolog. Es gäbe keine Liebeslieder mehr. Ob mir das nicht auch auf- und mißfällt? Ich schalte nun doch Musik ein. Madeleine hat mir kurze Textporträts zu Passagieren in der U-Bahn auf Gästen auf Parties geschickt, Menschen in 140 Zeichen: Mann, auf der Suche nach großer Liebe, in diesem Jahr ohne Sex, wird beim Schwarzfahren erwischt und verguckt sich in Kontrolleurin. Ein lauter Fahrgast, der die Weiterfahrt der Bahn verzögert, und um Flaschen bittet, aus denen noch getrunken wird, könnte Timur sein. Ausgerechnet den Trauerklößen wachse ihr Herz ins Gesicht, weshalb sie nie das Cover eines Redaktionserzeugnisses zieren werden, denn diese sollen vom Durchschnitt gelesen werden, diesen aber nicht beinhalten. In den ersten 20 Sekunden des Debüt-Songs fällt 4 x das Wort Sex, 3 x versprechen, 2 x ehrlich. Ob aus der Alltags- eines Liebesgeschichte wird zwischen Fahrscheinsünder und Fahrscheinoberaufseherin, werden wir nicht erfahren. Madeleine erwähnt auch ihren eigenen Herzzustand, wobei in dem entsprechenden Haufen Adjektive die Nachricht untergeht. In dem Lied datet ein junger Mann ältere Frauen in der Hoffnung, beruflich weiterzukommen. Sein Glück finde er dabei nicht. Die Damen seien versauter als seine Altersklasse. Von einer erhalte nach jedem Besuch ein Gedicht mit genau 4 Zeilen. Zwischen 12 und 2 keine Nachricht von Madeleine, wofür sie sich um halb 3 entschuldigt. Kein Empfang im Party-Bunker. Auf den Toilettenwänden stehen Liebessprüche, die man ohne Bedenken drucken könnte. Warum sich all die Wandbeschreiber nicht einfach mal träfen. Beim Tanzen steigen kleine Herzen von unten ins Gesicht, so dass jeder seine Cover-Chance bekommt. Und auch der Mann im Song erhält seine Gelegenheit: eine Sängerin macht ihn als Liebschreibtexter bekannt. Auf dem Weg zur Bahn schreibe ich eine Einkaufsliste. Mag sein, dass ich nicht wenig verdiene, aber umgekehrt decke ich mich gelegentlich mit Wochenangeboten ein - arm und erbärmlich sind Gegenteile. Vielleicht komme ich zu spät; vielleicht wird das niemand merken; vielleicht wird WANGP eines Tages so gelassen gegenüber seinen Mitarbeitern, wie es gegenüber Kunden auftritt. Meine Bahn wird an der zweiten Station von einem halben Schulklasse eingenommen. Ein Junge probiert seinen Ranzen abzunehmen, um sich dort etwas Essen zu ziehen, nur ist der Waggon zu voll: wie Magneten stehen wir aneinander gereiht. Auch die Bürotiger erreichen die Inhalte ihren Aktentaschen nicht. Zwei Knirpse übertrumpfen sich gegenseitig in den Plänen darüber, wofür sie ihr Taschengeld ausgeben. Vor allem irgendwelche Sammelkarten dominieren. Der eine Erstklässler verhaspelt sich vor Aufregung, als er die Stammdaten seiner Lieblingskarte aufzählt. Sein Freund winkt ab und verweist auf die neue Kollektion Ende des Jahres. Ein seinem Äußeren nach Spitzen-Top-Mittleres-Management-Halbchef hat endlich sein Handy erreicht, um sich auf diesem nun an einem Bauklötze-Spiel abzuarbeiten. Erst nach wenigen Sekunden gelingt es ihm, den Spielsound abzustellen. Sein Bildschirm blinkt mit den leuchtenden, elektrischen Universen auf den Ranzenoberflächen um die Wette. Ein Junge hat inzwischen sein Sammelalbum erreicht, ausgepackt und aufgeschlagen - andächtig lauscht die männliche Hälfte der Klasse seinen Trading-Cards-Ausführungen. Der Mittleres-Management-Chef wird durch einen Anruf beim Spielen unterbrochen und sagt die oder eine Präsentation für Punkt 12 zu. Dann beginnt er ein anderes Spiel, ohne Sound. Aus seiner Umhängetasche zieht er ein zerlaufenen Käse triefendes Baguette, welches er ohne Kauvorgang verschlingt - einen Plastikbehälter mit geschnittenem Obst und Grußbotschaft seiner Freundin rührt er nicht an. Den Jungs stehen noch immer die Münder offen ob der Kartensammlung ihres Kartenanführers. Ein Mädchen wird von der Lehrerin zurechtgewiesen, da es zu laut lache. Sofort wird die Mahnerin umzingelt von einer anklagenden Reihe 6 - oder 7 -Jähriger. Die Datenverbindung schwächelt und so bricht der Mann mit Käsebrot auch sein drittes Spiel ab, während die Jungs die Karten des Meisters feiern und nach Wurst suchend in ihre Brotdosen greifen. Beim Verzehr der Wurst machen sie sich keine Möhre. Und auch nicht bei der Frage, wo ihre Hände in dieser Bahn überall hingewandert sind. Sie schlucken, ohne zu kauen, halb Karten spielend, halb nach dem nächsten Brot greifend. Das ist Jungsein, vermutlich. Eine Mitfahrerin sortiert während der gesamten Fahrt Medikamente in ihrer Handtasche, als sorge sie sich, die empfohlene Einnahmereihenfolge zu vergessen. Ein auf den Boden gefallenes Brot schiebt sie mit der Fußspitze weg. Übers Aufräumen der Pillen ist die Frau nicht zum Lesen gekommen, dabei könnte der Buchumschlag von ihr selbst gestaltet sein: goldenes Papier, übersät mit Katzenbuckeln. Titel: "Die Angst des Gasts vor dem Kuchen". Ich träume unterdessen von einem Ausflug ans Meer - welches, spielt keine Rolle, und ich habe noch nicht viele Strände gesehen. Die Stadt hat keine Meeranbindung, und die Stadt und ich sind Freunde. 2 Jungs streiten sich, wem von beiden das spannendere Wochenende bevorsteht - am Ende verabredet sich das Paar zum gemeinsamen Zocken. Eine Frau telefoniert mit ihrer Schwester und rät ihr, sich von dem Freund zu trennen, wenn dieser ihr zum Geburtstag nicht mal ein neues Auto schenken könne. Währenddessen hält ein Mitte 40 Herr ein Buch mit nackter Schönheit auf dem Cover fester umklammert als ein Tiger, der sich im Hals einer Gazelle festbeißt. Mit den Gedanken befindet er sich woanders, denn in "Verbotene Gerüche" hat er seit mehreren Minuten keine Seite umgeblättert. Die Rückseite des Buchumschlages ist mit mehreren Nummer Eins Rankings bestückt. Hunderttausende andere Männer haben sich mit dem Kauf dieses Buches bewiesen, zu diesem Buch in der Lage zu sein. Für Durchschnitt gibt es keine Regel, und so haben wir die Überdurchschnittlichkeit mit einem Preisschild versehen. In diesem Fall 18,90. Ich besitze ein Monatsticket. Mein Ticket hält das ganze Jahr. Dieses Ticket haben Zehntausende andere auch. Wir sind Durchschnitt. Und gelegentlich folgen wir den unregelmäßigen Aufrufen zum Diamantendiebstahl, sitzend, in der Bahn, unsere Unbekanntheit uns selbst gegenüber in Kostüme geschmückt vorfindend. Wir verglühen beim Vorglühen und verunglücken am Glück anderer. An der Wand findet mich die Aufforderung nicht zu rauchen. Aus diesem Ver- ist vor einigen Jahrzehnten ein Gebot geworden. Wir alle tragen zu dieser Entwicklung unseren Teil bei. Und lassen uns nicht überraschen, wenn ein Auto mit nur einem Wort beworben wird: Männer. Mein Smartphone brummt. Ich folge ihm nicht. Die beratende Schwester hängt noch immer am Hörer und berichtet über ihre letzten Erfahrungnen auf Partnerbörsen - sie ist auf mehreren davon angemeldet - und fazitiert: Die sind mir alle noch nicht perfekt genug. Während diese Worte erlöschen, knipst sie von ihrer Handtasche mit nur zwei Finger das Preisschild ab. Entweder hatte sie dieses übersehen, oder ich habe einen weiteren Trend versäumt: Zurschaustellen von Etiketten angeblicher Schnäppchen. Ich bin bei keiner Online-Fleischvermittlung angemeldet. Braucht jemand 200 Aufnahmen von sich, um sich ins richtige Licht zu rücken, reicht die Beleuchtung einfach nicht aus. Auch die Frau neben mir telefoniert, allerdings nimmt sie immer wieder den gleichen Satz nach verschieden langen Pausen: Lass uns reden. Ich bin sicher schon einmal hier gewesen. Die Bahn kenne ich; die Linie sowieso; die Passagiere sind verwechselbarer als die Cover von Fernsehzeitschriften. Mehrere Hektar Ärger ausatmend legt die Frau neben mir auf und lässt das Gerät dann, als wäre es eine Täterwaffe, auf Höhe ihres Bauches herabhängen. In kurzen Abständen klickern nun hell aufleuchtende Kriegsschiffe an die Oberfläche des Geräts, auf der Suche nach der Deserteurin. Verletzende Nachrichten mögen den gleichen Klang haben, und klingen doch anders. Ich werde keinen der Texte zitieren, denn wir alle haben die gleiche Nachricht bekommen, die diesen Satz enthielt: Warum, du Arsch?! Der Rest ist = Kitsch + Selbstmitleid. Ohne lebensverbiegende Lügen kommt niemand von uns aus. Ich kaue an meinen Fingernägeln, hasse mich dafür, bis mir einfällt, dass Hass ein zu großes Wort für das bisschen Hornzelle ist. Da auch mein Smartphone nicht damit aufhört zu brabbeln, biete ich der Frau links neben mir an, dass wir die Teile tauschen. Sie zeigt mir einen Vogel und pfeifft dazu. Monika ermutigt mich immer wieder, mehr Verantwortung im Unternehmen zu übernehmen. Dabei würde ich als Verantwortungsbeauftragter vor allem von mir ausgehen und dieses Projekt angehen: Entsorgung aller Radios aus dem Büro. Alle Kollegen sind sich einig, dass die auditive Berieselung nichts bring und doch stellen sie am Abend fest, die letzten 12 Stunden die Stimmen aus dem Äther belauscht zu haben. Ich vergnüge mich stattdessen mit Podcasts, am besten fremdsprachige Dokus, gern auch in Sprachen, die ich nicht spreche. Unbeschwert von Wortbedeutungen kann man sich so dem Sound einer Sprache hingeben. Selbsternannte Berichte über angebliche Entwicklungen einer so genannten Gesellschaft fühlen sich so anders an: pa denna dag, bensinpriserna steg till en niva som inte längre rörde sina bilar mer än hälften av befolkningen. Mit diesem Humus auf dem Ohr treffe ich im Büro ein. Hier stellt mir Monika ankündigungslos Herbert, einen Fußball-Trainer mit einer Schnauze, größer als sein Kopf, vor. Seine 20 Meter einnehmende Stimme hat die Radios verdrängt, womit ich sofort sein Fan werde und den dringenden Antrag auf eine Herbert -Partei stelle. Monika sei seit je eine Freundin davon gewesen, mit Farbspritzern Abläufe in der Zusammenarbeit zu durchleuchten - in dieser Woche sei der Trainer einer semi-professionellen Männervereins dafür zuständig. De flesta människor stanna hemma i dag eftersom de hade frukost och tillräckligt med pengar i slutet av manaden. Herbert stellt sich vor, ich ebenso, wir könnten Bekannte und zusammen mit den anderen 22 Bürofreunde werden. In der rechten Hand ein Brot haltend, und in der linken einen Müsliriegel haltend, habe ich Herbert bislang nicht nicht essen sehen. Er lächelt viel beim Essen. Und wenn er nicht lächelt, schnappt er nach Luft. Er bietet mir einen Riegel an, ich winke ab, und so landet das Stück zwischen seinen Beißerchen. Statt eines Hürdenlaufs wird diese Kollegenintro zu einem Sprint. Över hela landet, är föräldrar fläckvis pa lekplatser som kan vara skolor deras barn att använda en bild. Ich hatte meine Kopfhörer nicht abgenommen. Vielleicht heißt Herbert in Wirklichkeit Herdert. Vielleicht bleibt er keine Woche, sondern nur einen Tag. Vielleicht wird er mein Nachfolger sein. Namen. Positionen. Ränge. Ränke. Spiele. In einem anderen Leben würde ich mich ärgern. Im Studium hatten wir Vorlesungen zu den Themen Personal, Arbeitspsychologie & organisation. Dort lief alles reibungslos ab, als seien Menschen Aale und Chefs friedliebendes Plankton. Ich schnitt in den Klausuren mit als befriedigend empfunden ab. Sicher haben auch wir einen informellen Gruppenführer - aber wir nennen denjenigen einfach beim Namen. Vielleicht verfolgen Monika und ihre HR-Expertinnen den Michigan-Ansatz - ich sehe keine Struktur. Möglicherweise wurde auch bei meiner Bewerbung DIN 33430 angewendet - ausschlaggebend war mein niedriges Einstiegsgehalt. Für Kennzahlen gibt es bessere Worte. Leider werden Kennzahlen nur mit neuen Kennzahlen überzeichnet. Es wird so laufen: ein Vorgesetzter - bei WANGP gibt es nur eine Vorgesetzte - wird mir eine Wunschtüte auf den Tisch legen, und ich werde erklären dürfen, warum ich all die darin enthaltenen Potenziale nicht in Angriff genommen habe. Statt detaillierte Antworten zu geben, werde ich weitere eingebildete Geldsäcke auf den Tisch legen. Wer bei neuen Kollegen die Hosen runter lässt, macht sich zur Schlampe. Es wird so laufen und deshalb spare ich mir dieses Kapitel. Die Wunschtüte ist kein Affront. Die Wunschtüte ist Unwissenheit darüber, was ich hier tue. Wie auch immer man die Entfernung des Chefs von seinen Untergebenen messen mag, geben wir der Entfernung ein Wort: Überforderung. Kaffee läuft aus. Die rechte Kanne leckt, die linke Kanne ist unser aller Freund. Ich fluche, nur mein Mund sagt "Hoppla". Laura, feuchte Traumlandschaft meiner Kollegen, reicht mir ein Wischtuch. Statt "Danke" brumme ich "Hmm". Ich lenke ein Gespräch, das nicht stattfindet, auf Magazine, die hier nicht ausliegen: MY JOY, HEALTHPOLITAN, WOWSTER, ALL ENDS WITH PAPER. Ein paar Titel merke ich mir für unser nächstes Medien-Brainstorming vor. Wobei: zu einem Date bringt man seine Freundin nicht mit. Können Nichturlaubswillige von Urlaub träumen? Laura, lass uns Stuss reden, lass uns die große Rundfahrt drehen, als hätten wir eine Wiese Gras geraucht. Glaubst du, dass wenn Sex auf Toilette geht, Wichsen dabei herauskommt? Das Leben ist kein Vorstellungsgespräch, das Leben ist kein Ist-Satz, das Leben ist keine Aufzählung. Ich bin ein Original. Solange die anderen mitmachen. Eine Kurznachricht. Von Tanja. Ob es bei heute Abend bleibe. Ich solle an den Wein denken. Und worauf ich sonst noch Lust hätte. Ich schlage Mesgauer Platz vor. Sie: wir haben mitten in der Woche, lass uns doch einfach bei mir treffen. Sie präzisiert ihren Vorschlag, nun haben wir einen Plan - ich fertige mir die entsprechende PostIt-Notiz an und klebe sie auf mein Smartphone. Einer unserer wichtigeren Kunden - oder wie wir auch sagen: Teilnehmer - ist nun eingetroffen. Er ist so alt wie ich, 100x klüger, und heißt Thomas. Auch Monika und Herbert gesellen sich in den Konferenzraum, der mit nun 4 Besuchern zu 66 % gefüllt ist. Einen genauen Anlass für diesen Termin gibt es nicht. Stattdessen wird Herbert, der sich mit einem Heiratswitz die Sympathie unseres Gasts sichert, vorgestellt - Thomas hat keine Partnerin. Er hält uns - vor allem Laura, die hier nicht teilnimmt - dazu auf dem Laufenden. Pause. Nun holt Thomas seine anstehende Weltreise hervor, die eigentlich nur in einem Trip durch Nordamerika besteht - den Hinweis spare ich mir, schließlich bezahlt er uns für's Zuhören. Vergleichbar eine Amphibie beim Mückenfang schnappt Thomas beim Referieren gern seinen eigenen Worten nach, was auch dazu führt, dass er Worte und Mücken verschluckt. Ihn darauf anzusprechen, würde ihn bei der Nahrungsaufnahme unterbrechen, weshalb wir die Füße still halten. Geschützt von fehlender Erfahrung nimmt Herbert sich das raus und kassiert dafür einen visuellen Rüffel seiner Vorgesetzten. Nächste Pause. Mit einer Formulierung, die so unglücklich ist, dass ich sie - aus Sorge, sie würde mir lebenslang Pech bringen - verdrängt habe, hält Thomas fest, dass Monikas Arbeit so herausragend wäre, weil sie keinen Stecher hat - wer untervögelt ist, dem wachsen nun mal keine Flügel. Ob es nichts Richtiges zu trinken gäbe und einer Schluck-aus-der-Flasche-Bewegung hält Thomas uns 3 seine Kaffeetasse hin. Nach einer weiteren Pause erklärt Thomas, ab kommenden Jahr mit einer anderen Agentur zu arbeiten. Pfeifen bei Herbert, Giggeln bei Monika, Überlegungen, welchen Wein ich mitbringe, bei mir. Meine Fingerkuppen haben sich schwarz eingefärbt. Nicht vom Saft im Stift, sondern einen Schokokeks, mit dem ich während der letzten 10 Minuten gespielt habe. Ein Waschnbecken befindet sich nicht im Konferenzraum - so nehme ich Mineralwasser. Monika, die Thomas soeben an der Tür verabschiedet hat, reicht mir ein Taschentuch für die Fingerschweinerei. Ich solle besser auf meine Gesundheit achten - ich sei keine 17 mehr und Feiern unter der Woche vielleicht ein falscher Plan. Der Kater, den man morgens habe, verschwinde dann eines Tages nicht mehr und werde zum Haustier des Körpers. Monika vertreibt den Alkoholkater nur, indem sie einen neuen Schluck nimmt. Ich habe weder Kater noch Appetit noch Probleme mit Fastfood und Sorgen um einen Hauskredit - Monikas Ausführungen buche ich deshalb unter Selbstgespräch ab. Techno, Techno, Techno - das wäre es jetzt. Die sich abwechselnden Wolken führen zu SchwarzWeiß-Wellen auf Tischplatten, Wänden und Stühlen. Als ich Thomas Zucker zum Kaffee angeboten hatte, hätte ich beinahe einen Biskuit gereicht, denn der besteht fast auch nur aus Zucker. Dieses Volleierzeugnis wurde dann mein Spielgerät. Monika schluckt den nächsten Minikuchen runter. Weißt du, wenn man es allen rechts macht, macht man für niemanden etwas richtig. Und dann gibt es Kollegen, Partner und auch Kunden, denen deine Nase einfach nicht gefällt - und schon fällt ein Projekt ins Wasser. Sich nicht um Sympathien zu kümmern, kann sich als Sympathiefaktor entpuppen - kein Wort werde mehr unterschätzt als das schlichte "Nein". Die drei letzten Sätze habe ich in nur ungefährer Erinnerung. Vor der Tür hängen drei Varianten einer Ironisierung des Themas Weltherrschaft aus Agentursicht. Ob ich die Künstlerin mal kennenlerne wolle? Nein, wir würden uns nur an-langweilen. Monikas Telefon ringt und das Klingeln lässt sie verschwinden. Ich ziehe die mittlere der drei Bilder gerade - am unteren Bildrand entdecke ich den Namen der Schaffenden: Nein Hardt. Am Empfang hat jemand eine Süßigkeitenbox mit kleinen Abreißzetteln "Ich war hier" aufgestellt - bis zum Abend wird sie geleert sein. Und obwohl Monika nicht zu hören ist, weiß jeder, dass sie telefoniert und beim Trinken nicht gestört werden möchte. Eine Anlieferung von Büroklammern in 17 verschiedenen Farben, wobei der Verpackung nur ein Lieferschein, jedoch keine Rechnung beilag, so dass die Sendung zurückgeschickt wurde; ein Kolleginnenstreit, der so endet, dass eine Streithenne erklärt, ihre Tage zu haben, woraufhin ihr die andere in die Arme fällt; neue Tastaturen, deren Klicken zu allgemeiner Verzückung führt; ein Kollege erhält zum Geburtstag ein Buch mit dem Titel "Man nennt es digitale Boheme"; ein Stundenplan, der festhält, wer wann welche Pflanzen gegossen hat; eine Telefonkonferenz, die auf den Rufnamen Telko hört, und deren Sinn, Thema ausschließlich der Moderator verstanden hatte; ein wiedergefundener Kalender, der aber nur Malereien, keine Termine und Protokolle enthält; ein Kollege lässt seinen Mac offen stehen und dort ist ein Porno zu sehen; neueste Fachzeitschriften aus einem Firmenabo, versehen von Kreuzen, von allen, die den Verdacht erregen wollen, es gelesen zu haben, und einem Kreuz mit "i. A. von ;-)"; ein offene Toilettentür, was Gemecker entfacht; ein fleckiger Pizzabestellflyer; ein Handy, dessen Klingelton uns alle Stirnrunzeln wachsen lässt - die Besitzerin hatte es in ihrer Pause liegen lassen; störrische ITler und bitterschwarze Controller; Geklacker vom Kickertisch; aus dem Radio dringende, politische Hilferufe, danach E-Musik, schließlich Diskussion über Lieblingsplatten und Plattenlieblinge; Kaffeebohnendurchlauferhiterpressgenussergebnisbomben; Feststellung, dass sich die meisten meiner Bekannten in diesem Büro befinden; abgelaufenes eis und Pommestüten mit Namensschild drauf; eine Einladung zum Volleyball, die ich ablehne. Bis zum Ende des Tages sollte sich nichts Besonderes mehr ereignen im Büro. Mit Tanja treffe ich mich in einem für Ausstellungen genutzten Bahnhofsruine. Aktuelles Sujet: letzte Fassungen letzter Ausgaben - ein Panorama zu Büchern, Magazinen und Zeitschriften, die noch unmittelbar vor Umbruch politischer Systeme erschienen sind und dabei Teil der untergehenden Clique waren. So als käme ein Krokodil auf eine Krokodilparty und trifft dort nur auf Robben. Tanja hat eine leichte Erkältung, erklärt mir aber, dass es vielmehr eine Allergie gegen Parfüms sei - außerdem habe sie das Bier etwas mitgenommen. Sie war vorglühen. Ob ich nicht auch möge? Nur zu besonderen Anlässen. Das ist keiner? Frag mich später noch mal. Sie rätselt. Ich präzisiere: doch, Zeit mit dir fühlt sich besonders an. Am Eingang erfahren wir, dass nicht nur aufwendige Druckwerke 100 % Aktualität verlieren können, sondern auch der Flyer zu dieser Ausstellung an diesem Abend: statt Gedrucktem aus vergangenen Zeiten sehen wir uns einer Schau zu erotischer Holzkunst aus Nordamerika gegenüber. Wir beraten uns kurz, und stellen fest, beide keine Ahnung zu haben, was uns hier erwartet - wir lösen die Tickets. Beim Anstehen begegnet mir ein neuer Kollegen von WANGP. Da er meinen Namen nicht verinnerlicht hat und ich auch seinen nicht vorrätig habe, führen wir einen Plausch, der nur darin besteht, Sätze zu nutzen, mit denen man nicht auf den Vornamen des anderen angewiesen ist. Man verbringt viel mittelbare Lebenszeit mit Menschen, die man keinen Gramm kennt - die Personalabteilung nennt dies in ihren Stellenangeboten respektvolles und familiäres Miteinander. Tage später werde ich Vanessa nach seinen Namen fragen. Vor uns stänkert Mann mit seiner Frau, dass er brenne, zu erfahren, wie Fruchtbarkeitssymbole von einem anderen Kontinent auf 3 Etagen eines Industriedenkmals unterzubringen seien, ohne dass man sich über die hohen Eintrittspreise ärgert. Seine Frau schickt ihm einen Klaps zu. Die erste Etage mit handgroßen Utensilien haben wir schnell durch, auch die zweite hat mit raumfüllenden Geschlechtsteilen keinen Fixpunkt, nur in der dritten verharrt Tanja vor in Dunkelholz geschnitzten, mit übergroßen Händen masturbierenden Menschenpuppen. Ich staune über das Staunen der Besucher und begutachte von einem Sitzplatz aus Tanja, was ihr schmeichelt. Zum Abschied drücken wir uns länger als nötig wäre. Ich fahre allein nach Hause, an einem dieser seltenen Abende, die sich anfühlen wie ein ganzer Monat mit 30 Tagen Wachsein. Eine Uhr brauche ich nicht, auch die Minutenanzeigen übersehe ich. In der Bahn fordern Kontrolleure dazu auf, Fahrscheine vorzuzeigen - dies stellt sich als Scherz von 3 Männern heraus, die beim JUnggesellenabschied eines anderen Mannes etwas zu viel getrunken haben. Wie das bei ihnen damals gewesen sei, werden sie nicht klären können, denn keiner von ihnen ist verheiratet - höchstens mit dem Büro. Sie beraten sich, wie sie morgen zur Arbeit kommen - der eine hat die Bedeutung von "morgen" vergessen, und der andere fragt nach, von welcher Arbeit hier gemeint ist. Eine Frau nimmt sich einen anderen Platz am anderen Ende, und von dort aus schielt sie nach einem der Männer. Ein Gossenpoet steigt zu und stimmt ein Klagelied an: die Armen seien überarbeitet, die Reichen immer reicher, die Städte unruhiger, die Armen kränker, die Reichen ängstlicher, die Städte gewalttätiger - sein Spiel geht nicht auf, denn die Junggesellenbande grölt mit. Die Frau im Hintergrund ist mit ihrem Oberkörper inzwischen in einem Buch versunken - die Linien, die wir Buchstaben nennen, bringen ihre Lippen zum nach oben und unten Schweben. Sie wird dem Live-Dichter ein paar Münzen geben. Sicher kommt sie von Arbeit, vielleicht ist sie Krankenschwester; sie wird direkt schlafengehen, und am nächsten Tag wieder Arbeit sein. Schaut sie zu den feiernden Männern hinüber, bekommt sie mädchenhaft-zerbrechliche Züge, erinnert sich an die Anzahl der noch übrigen Stationen und liest weiter. Einer der Männer sagt vorher, niemals zu heiraten, da es mit den oder seinen Frauen einfach nicht klappe. Er zeigt dabei auf eine Tafel mit Solarium-Model und sagt: so eine bräuchte er. Plakate in der Bahn fordern auf, diejenigen Dinge anzuschaffen, die auf diesen Plakaten abgebildet sind. Die Lippen der Frau mit dem Buch bewegen kaum noch, ihr Blick ist durchsichtig geworden. Der Mann wiederholt: so eine bräuchte er. Und während die Frau auf Seite 644 ankommt, und die Männer sich auf ein Taxi einigen, und die Bahndurchsagen eine Station nach der nächsten ankündigen, fällt mir auf, dass ein Tag im Büro ein Tag für's Büro und ein Abend mit Tanja ein Abend für mich ist. Einen halben Tag später gehen wir shoppen. Tanja sucht vor allem nach dunklen Ballerinas und strahlend blauen Jeans, die unbedingt einen Knopf-, keinen Reißverschluss haben sollen - die Zippart sei wichtiger als die Farbe. Das passende Höschen hat sie nach nur 3 x Anprobieren gefunden, bezahlt und eingetütet - beim Verlassen des Hauses gerät Tanja aus dem Häuschen vor Glück. Shoppen, Sonne und Sex fangen beginnen eben mit S. Sie erfindet Kosenamen für ihr Baumwollerzeugnis und fordert mich auf, gefälligst mitzumachen. Meine Spielereien werden zu kopflastig, so dass ich hier zur Spaßbremse werden. Ich nehme ihr die Taschen ab, so dass sie sich ganz der Suche nach weiteren, neuen Lieblingsartikeln widmen kann. Wie ich das, die und den finde? Etwas billig, fad und überambitioniert. Und die? Besser als die 17 Teile vorher. Ist das ein Gut? Ja. Sie wird alles nehmen und mir hinterher gestehen, nun für den Rest des Monats pleite zu sein. Wir haben den 28 ten. Unter diesen Umständen die Suche nach meinem neuen Weekender fortzusetzen, dürfte nicht elegant sein. Da es jedoch die Redewendung jemandem etwas vor-zu-kaufen nicht gibt, überwiegen die Vorzüge einer möglichen Lieblingstasche. Inzwischen ist Tanja eingefallen, dass sie den Kreditrahmen ihrer Kreditkarte unabhängig von Kontostand und Kalendertag verfügen kann - so sind wir uns stillschweigend einig. Zwar werde ich seine ersten 5 Sätze überhören, und doch gibt ein Verkäufer in meinem Alter seine gesamte Konzentration, um mir eine kastanienbraune Ledertasche mit zwei Henkeln und unzähligen Innenarealen zu erklären. Ich werde 120 Euro bezahlen, doch später wird sich die Tache als zu exquisit erweisen und zum Staubfänger werden. Im Post-Kaufflash aber gebe ich dem duftenden 60 x30 cm Kästchen Fantasie-Produktbezeichnungen, und Tanja schwingt mit. Vor einem der letzten Reisebüros fragt sie mich, ob ich oft reise. Ich entgegne, dass Kopfreisen sicher nicht dazuzählen. Tanja verneint. Nein. Das sollten wir ändern. Tanja hat entschieden, Appetit zu haben, und so gehen wir essen. Ich setze mich für ein italienisches Restaurant ein und wenige Momente später dort hin. Vermutlich Zustimmung durch Tanja, denn sie sitzt mir gegenüber, auch wenn ich ihre Worte wegen des heranrasenden Kellners nicht verstehe. Lachs mit Spaghetti - mein Leibgericht - finde ich auf der Karte, allerdings mit jeder Menge Beiwerk - insbesondere die Artischoken lassen mich kalt. Tanja nimmt eine Pizza mit Broccoli und anderem Grünstoff, dazu ein Joghurtgetränk, wird sich allerdings darüber ärgern, dass das Teigstück nach nichts als Knoblauch schmeckt. Von meiner Bitte an den Kellner, mir ausschließlich Spaghetti mit Lachs zu bringen - ohne jegliche Garnitur - ist mir nur in Erinnerung, dass Tanja nach Abgang des Kellners fragt, ob ich gern auch auf das Besteck verzichtet hätte. Ich nicke, da sie lächelt, und ich ihr nicht zugehört habe - dies führt zu einem Kurzstreit oder -streik ohne Worte. Seit wir im Restaurant sind, wurden von drei der vier umstehenden, besetzten Tische Gnocchi bestellt. Gnocchi, Knocki, Gnogschi. Der vierte ordert sicher Gnogi. Meiner Jugendmacke nachgebend packe und verstaue ich die Speisekarte in der Tasche Tanjas. Sie fragt nicht und lächelt verschwörerisch. Dieses Mal nicke ich nicht, weshalb sie die Karte wieder auf den Tisch legt. Tanja versinkt in Vorfreude auf ein Glas Rotwein, jedenfalls sagt sie kein Wort und schlängelt sich mit ihren Augen bis in die Küche, in die sie von ihrem Platz aus einen Halbblick werfen kann. Auf meine Frage, was es dort Spannendes gibt, sagt sie: säckeweise Knotschi. Trotz angefüller Mägen: Tanja und ich gehen tanzen. Ich besorge uns Kaffee und Wasser, Tanja fragt mich, was sie damit soll, ein Bier sei ihr lieber. Ich möchte sicher keins? Ja, sicher. Einen Moment später hält sie ein triefendes Grünbornsteiner in der Hand. Sie stößt mit Alkohol- an, ich halte mit Koffeinhaltigem dagegen. Das Bier duftet ungewöhnlich gut, und sowohl die Prise aus einer anderem Sternensystem als auch die Entzückung über ihren ersten Schluck, bringen mich fast dazu, mir einen Schluck Hopfensaft zu genehmigen - die Kollision eines Autos mit einem Fahrrad samt superschnellen Sirenengeheuls stoßen mich in andere Richtungen. Mir aufzählend, wo ich mich gerade befinde und worüber ich mich nicht ärgern möchte, fertige ich eine Blitzbestandsaufnahme an und durchleuchte alle Stimmungen, die gerade an meiner Tür stehen - ein Dieb ist dabei nicht zu finden. Was los ist, fragt Tanja im Tonfall der Geselligkeit, den man beim ersten Bier annimmt. Ich mag dich, so lautet meine Antwort. Das mag keine Antwort sein, reicht aber zu 200 % aus. In der Straßenbahn werden wir für ein Paar gehalten, was uns beide zum Lachen bringt, wodurch wir umso mehr als Paar behandelt werden, was mal Tanja, mal mir mehr schmeichelt. Als wäre Lachen ein Verstärker in falsche Richtungen. Grinsend schlagen wir uns an angebotenen Drogen, knallwachen, hypercoolen Türstehern, nach Döner riechenden Langzeitsingles und hypnotisierenden Graswolken vorbei auf die Tanzfläche. Das Lichterschema liegt im Wettbewerb mit der Musik vorn. Wir brauchen etwa 5 Minuten, um warm zu werden - es wird uns erster, gemeinsamer Tanzeinsatz. Mit den Schatten unserer Hände und Beine erreichen wir andere Finger und Füße, so dass wir aufgesogen vom Tanzknäuel, als wären wir von Anfang an dabei gewesen. Dutzende durch die Menge rasende, von Musik verfolgte Lichtballons erweisen sich als Taktgeber. Lichtleitern, die von Bässen bestiegen werden; Glanzzelte, die für Bruchteile von Sekunden ein brummendes Zuhause geben; Klangbäder, mit elektronischen Blasen. Und so schwimme ich, ohne mich im Wasser zu befinden, fahre Rad, ohne zu treten, spiele Fußball ohne Gegner und mit feststehendem 1:0-Sieg. Tanja streckt abwechselnd ihre Arme aus, manchmal halte ich meine auf gleicher Höhe, - sicher sieht das unbeholfen aus, aber was sehen Betrunkene, Beschäftigte und Bekiffte. Und so treiben miteinander spielende Licht und Musiken einen Haufen Menschen, die das am nächsten Tag Tanzen nennen werden, vor sich her, bis die Getriebenen erschöpft nach Hause gehen. In diesem Leben werde ich kein guter Tänzer mehr - während dieses Gedankens nickt mir Tanja aufmunternd zu. Wir verlassen die Party ohne Grund. Ich darf an dieser Stelle nicht beschreiben, wie sehr uns das Tanzen gefallen hatte, denn Tanzen gefällt immer und hört man genau zu, dann hört man unsere Beine lachen. Tanja drückt mir einen Kuss auf meine Wange, mit einem Schmatz, einem Dreh, einem Quietschen, welches mehrere Meter scheppernd wie ein Jahrmarktsstand vorwärts läuft. Wir taufen dieses Ding Pferdefroschkuss. Vor einer Bushaltestelle läuft ein junger Mann versehentlich in eine etwas jüngere Frau - als beide wieder zu sich kommen, verknallen sie sich ineinander, kriegen darüber und von sich selbst überrascht allerdings kein Wort heraus, und gehen wortlos auseinander, ohne dass sie sich je wiedersehen werden, im Glauben, dass die eine dem anderen nicht gefallen habe. Tanja drückt mir sanft ihren Ellbogen in meine Hüfte. Schon von weitem ist im heranfahrenden Nachtbus ein Junge zu erkennen, der unbedingt die Tür öffnen möchte und entsprechend den Knopf betätigt. Ob er seinen Spitzenplatz am Ausgangsportal verteidigt hat, werden wir nie erfahren, denn Tanja entscheidet, dass wir Taxi fahren. Sie möchte die Lichter der Stadt mit mir teilen und niemandem sonst. Okay? Gut. Auf den Weg zu den gelben Benzinfressern bauen wir an neuen, noch schlechteren Witzen für die sogenannte Nachwelt, nur der Fahrer hat dafür weder Muse noch Nerven. Als wir in meiner Wohnung ankommen, verliert Tanja für 3 Momente die Sprache. Ich bemerke das erst, als sie mich darauf anspricht. Sie sei überrascht über den Zustand meiner 4 bis 16 Wände, ich hätte einen qualitätsversessenen Eindruck gemacht - und nun das. Die Verwendung eines ungewöhnlichen Wortes zu so später Uhrzeit drückt mir ein Lächeln ins Gesicht, was Tanja wiederum als Lustigmachen missversteht. Sie schnappt sich ein Gästebier, betritt den Balkon, stößt Richtung Mond an und schluckt Gerstensaft für Erwachsene. Sie summt ein Lied vor sich hin, verrät mir aber nicht welches - dieses selbstgeschaffene Geheimnis lässt sie schmunzeln. Ich gebe ihr einen Kuss, nicht den ersten an diesem Abend. Sie entschuldigt sich dafür, kurz auf Toilette zu gehen und kommt von dort mit einigen Kleidungsstücken weniger wieder. Ihre Brüste sind bezaubernd und ihre Beine ein Traum. Sie deutet einen Kuss an, pustet mir aber stattdessen ins Ohr und zieht sanft an meinem Haar, mit der Bitte, mich auszuziehen. Wir legen uns hin, Hand in Hand. Mit meinem Mund unternehme ich eine Weltreise auf ihrem Oberkörper. Sie fragt, ob ich erfahren bin. Ich küsse die Frage weg und schnippe ihren BH auf. So geht das weiter, auch wenn nicht geht, das so in einem Text zu schreiben. Als ich in sie fahre, bittet sie mich, behutsam zu sein. Dass ich nichts anderes vorhatte, weiß sie - sie überspielt Aufregung. Beim Vögeln fragt sie mich, warum ich so abwesend und an ihr vorbei gelangweilt schaue und ob sie mir nicht mehr gefalle. Ich lache und für 2 Minuten ist alles gut, bis sie mir die Frage wieder stellt. Dieses Spiel wiederholt sie onhe bestimmten Takt. Beim letzten Mal säusele ich, dass mir der Sex die Sprache verschlägt. Sie ändert die Tonlage und fragt, warum ich nicht komme. Weil Vögeln besser als Spritzen ist. In diesem Moment stehe ich auf und Tanja ist in den Kuschelmodus eingetreten. Am Morgen sieht Tanja noch besser aus als letzte Nacht. Das behalte ich für mich. Umgekehrt ist einem "Was für eine schöne Frau Du bist" nicht viel hinzufügen, ohne dass man sich verhebt. Wir teilen uns eine Decke, von der sie mehr hat als ich, und kleben wie zwei Fischpackungen im Gefrierfach aneinander. Der Sex ist noch zu riechen, und was durch die Hände ging, ist nun zerstreut von Haar- bis Zehnagelspitzen. Es würde nicht immer so sein wie heute früh - wir ahnen das. Wir würden nicht jeden Abend tanzen gehen. Und der Monat würde Tage haben, an denen jeder mit seiner eigenen Decke schläft. Ich lege meinen linken Arm unter und meinem rechten Arm über ihren Bauch, lege vorn beide Hände ineinander, nicke kurz ein und werde von einer Hand an meiner Schulter geweckt. Sie sagt, ich gefalle ihr noch besser als letzte Nacht. Dies wird für mich zu einem der Sätze des Jahres werden. Ich ziehe sie zu mir, greife ihre beiden Hände, beuge mich über sie, und gebe ihr einen Kuss. Nur beim Kuss öffnen sich ihre Augen. Wir ziehen die Decken über unsere Köpfe, dösen ein, nicht ohne uns vorher zu versprechen, voneinander zu träumen. Etwa 2 weitere Stunden lang bestehen wir aus Schlafen. Beim Wachwerden sehe ich als erstes Tanjas knallwache Augen. Sie habe heute einen langen Tag vor sich und werde nun gehen. Auch Frauen hätten Ritterrüstungen, die gegen Übermüdung helfen - Kaffee und Zigaretten zum Beispiel. So erklärt sich der Geschmack beim KUss. Mit den Flügeln, die ihr die letzten 12 Stunden verliehen hätten, könne sie allerdings viel mehr anfangen. Federzeug sei auch mehr womanlike. Ob ich an einer Fortsetzung sei? Sie sagt tatsächlich Fortsetzung. Die Frage geht im gegenseitigen Kichern unter. Mit dieser Hauptdarstellerin würde ich jeden Film drehen, ja. Gut, dann heute. Und ich überlege, kurz, aber in einem Moment, in dem sich jeder Gedanke kilometerweit zieht und jede Menge Gefühlsdosen klimpernd hinter sich zieht. Sie werde mir heute so viele Nachrichten schreiben, bis ihr die Worte ausgehen. Sagte es und verschwand. Und so wird zu 2 Einsen, was eine 2 war. Wachwerden, Kaffee, Duschen, Anziehen, Packen, Fußweg, U-Bahn, Ampeln, Bäcker, Fahrstuhl, Büro, Fenster auf, Nachrichten, Kalender, Fenster zu, Kaffee, Begrüßen, Meeting, Telefon, Pause, 8, 9, 10, 11, 12, 13-19 Uhr, ein Arbeitstag. Die meiste Zeit verbringe ich dabei mit der Konzeption der Vermarktung einer App, deren Launch bevorsteht. Monika fragt zwischendurch nach, wie weit ich bin, mehr um Interesse zu zeigen als tatsächlich interessiert zu sein. Ich antworte, fast fertig zu sein. Ob ich Zeit für etwas Neues habe? Das hängt vom Kunden ab. Aber das sei eine einfache Ja-Nein-Frage. Der Schwierigkeitsgrad einer Frage hängt nicht von der Länge der Antwort ab. Und so gibt eine Nichtigkeit die nächste. Der geplante Auftritt im 010101-Äther - wieder und wieder ver-, ent-, überworfen. Von nett, unverbindlich und vorzeigbar bis hin zu notorisch frech: abhängig von der Tagesverfassung am anderen der Leitung bekommen die Seiten des Kunden das Tagesgesicht des Kunden. Während dieser Telefonate kritzle ich Fantasietiere und schaue Spielezusammenfassungen. Während meiner Praktika hatte ich ebenfalls planlose Kunden, war dort allerdings nur mit punktueller Zuarbeit betraut. Heute bin ich Hauptansprechpartner auf Agenturseite, für drei Kunden, die unsere Aufmerksamkeits- und Entgegenkommbemühungen fürstlich bezahlen. Hätte meine Arbeit ein Konto, dann ließe sich dessen Stand über unsere Preisliste erahnen: je nachdem, wie man es rechnet, erwirtschafte ich täglich einen Kleinwagen, ohne etwas herzustellen, was man jemals Bestandteil eines Kleinwagens sein wird. Und doch fehlt mir für einen eigenen Kleinwagen das nötige Geld. Und der Wunsch, ihn zu haben. Und die Einsicht, dass er nötig ist. Und der Führersein zur Bedienung. Heute habe ich bereits 1,5 Seiten mit unentdeckten Fabelwesen ausgeschmückt. Der Kunde befindet sich heute im Netzwerkmodus Verführerisch & Undurchschaubar. Und so entwickeln wir Kommunikationsfahrplan Version Nr. 9, mit verspielter Kundenansprache, Bildern, die einen Witz erzwingen wollen, und Versprechen, die wolkig formuliert, allerdings nicht himmlisch sind. Wozu das alles, werde ich vielleicht mal auf einem Neujahrsempfang, oder in einem Buch, oder von einer Partnerin, oder in einem anderen Unternehmen herausfinden. Letzteres favorisiere ich. Dominik von BRAINOCCUPIED Ltd - ein seltsamer Vogel. Auftrag: Die Kommunikation seines Unternehmens zu durchleuchten, um dabei neue Lichter anzuknipsen. Sein scharf und klar gedrucktes Gesicht sitzt auf einem durchtrainierten Körper. Er lacht wie ein Schnitzel beim Braten und dürfte damit bei Monika einige Prozentpunkte herausgeschlagen haben. Jedenfalls ist die Bearbeitung bei mir gelandet, und wiederum ich vor der auf Dauerdurchlauf getrimmten Kaffeemaschine. Ich setze ein virtuelles Fernglas auf. Daran gewohnt, schnell Geschäfte zu machen, und Menschen für sich zu gewinnen, um durch sie zu gewinnen, wird er meine Vorschläge, Fragem, Anregungen zur Seite wedeln mit einem großväterlichen Ist Ja Gut, Ist Wirklich Schön Gedacht. Ob ich eigentlich immer so analytisch vorgehen würde und dabei nicht den Blick fürs große Ganze verlieren würde? Wie kommen sie darauf, dass das Ganze groß ist? Sich zurückwerfend und dabei ein Stöhnen ausstoßend, hisst er unsichtbare weiße Fahnen, schwingt sich lachend wieder nach vorn und erkundschaftet sich nach meinem Einkommen. Ich weiche aus. Eine Zahl bitte - Sie können doch gut mit Ziffern. Ich nenne einen nicht zutreffenden, zu hohen Betrag: 60.000 Euro. Du bist also ein Checker? Nein. Ein Durchstarter? Nicht, dass ich wüsste. Ein Killerpresenter? Was bedeutet das? Ein verkappter Geschäftsführer? Ich drehe meinen auf dem Rücken umgelegten Daumen in Richtung Monika. Ein Kollege, der von keinem geliebt, aber allen bewundert wird? Ich schüttele meinen Kopf und auch die übrigen 175 cm darunter. In Deinem Alter hatte ich schon mein zweites Unternehmen gegründet und 25 Leute angestellt - möchtest Du Nummer 26 sein, wir bräuchten noch ein Brillenträger, die auch am Wochenende ehrenamtliche Sonderschichten fahren. Nein, ich möchte keine Nummer sein. Ich verlasse den Raum. Monika fängt mich ab und greift mich unterm Arm. Dominik sei Zielkunde des Monats. Ich nicke. Wenn Du das weißt, liefere bitte. Lass Dir für morgen einen Termin zum Feedbackgespräch geben, mach Dir dazu Gedanken, wie Du unsere zusammenarbeit einschätzt. Ab kommender Woche wird Herbert übrigens ein paar Deiner Key Accounts übernehmen - bereite die Übergabe vor. Ob ich schon gehe, fragt mich Laura, während sie zu ihren Sachen greift. Sie trägt zu jeder Jahreszeit einen Schal oder Tuch, und dürfte insgesamt mehr als hundert davon haben, heute einen gelb-blau karierten, leicht durchschimmernd. Dank ihrer immensen Halsanziehstückerfahrung gelingt es ihr, sich auch mit der linken Hand perfekt einzuwickeln und sich dabei eine Zigarette anzuzünden, was sie jedoch, als sie sich daran erinnert, noch im Büro zu sein, unterlässt. Ausnahmsweise schlägt hier Moral Nikotin. Zur Antwort: Nein, ich brauche nur eine Pause. Das hat doch ein bißchen was von Gehen, oder? Laura hält mir die Tür auf, wir gehen hinunter und geben den anderen Firmen im Haus dabei Tiernamen. Angekommen, lässt sie sich Sonne ins Gesicht strahlen, und ich nehme die dunkle Hälfte. Laura zieht genüsslich 3 Züge; die anderen 21 sind dann smoking as usual. Feierabend dürfte die längste aller Pausen sein. Wir haben uns verquatscht und -laufen, Laura hat dabei auf der Außenterasse eines Cafes Platz genommen. Sie amüsiert sich, dass ich sie begleitet habe, und über mein Verständnis der Worte kurz sowie Pause. Wie es mir ergeht auf Arbeit? Ein Job wie jeder andere. Warum nimmst du dir dann nicht einen anderen? Die Kellnerin spricht ihre persönliche, an jedem Tisch gleich lautende Bierempfehlung aus. Je länger ich ein WANGPler bleibe, desto wahrscheinlicher wird man eines Tages, ob ich alle Ziele der WANGP erreicht habe, bejahen. Ein Flyer- und Aktionskartenverteiler fragt an der Theke, ob er seine Güter hier austeilen darf. Ob ich meine Ziele erreicht hätte, heute? Falls die Abarbeitung der Ablage gilt, ja. Kein hehres Ziel, aber ein Ziel. Solange ich Aufgaben nicht mit Zielen verwechsle, sei mir zu helfen. Und so geben wir der Bedienung, die nun Weg an unseren Tisch gefunden hat, das Ziel, uns zwei Kaffee zu bringen. Eine Kurznachricht von Tanja. Ob wir uns heute sehen? Ich kippe den Kaffee herunter und rücke den Stuhl etwas nach rechts, um den Sonnenlicht zu entgehen. Zweite Nachricht, in der Tanja feststellt, dass keine Antwort auch eine Antwort sei. Die Alltagstauglichkeit dieser Erkenntnis werde ich noch heute im Büro testen. Für den Fall, dass sich hinter dem Statement Tanjas eine Frage versteckt, schreibe ich zurück: Mag sein. Darauf Tanja: Spaß bekomme ich auch ohne Dich, zum Beispiel auf Partys, im Urlaub oder beim Shoppen. Das sei allerdings nicht, was sie sucht. Das Roß, auf dem ich sitze, sei zwar hübscher als ein Einhorn, aber auch ziemlich hoch. Waren wir nicht zum Tanzen, Wochenendausflug und Einkaufsmeilenerschließen verabredet? Für diese Fragen kassiere ich einen "Kauz". Wo ich überhaupt sei? Auf Arbeit? Nein, zum Lunch. Was gibt es Leckeres? Einen gebrauchten Kaffee. Wir könnten etwas essen gehen. Sie würde mich gern sehen, noch heute. Sie stehe dann gegen 19 Uhr vor meiner Tür. Das hat zur Folge, dass sie meine Wohnung bei Tageslicht sieht und dagegen helfen auch Schummeleien wie verhangene Fenster und Freistellen schwarzer Möbel nicht. Mit ihren sommersprossenübersehenen Schultern zuckend, erklärt sie, sie sei meinetwegen hier, und nicht wegen Einrichtung und Gästetauglichkeitsniveau von vier Wänden hier. Eine Bruchbude sei das trotzdem, und dabei versetzt sie mir einen virtuellen Kinnhaken. Ob ich keine Lust hätte, umzuziehen, in eine Wohnung, die zu mir passt? Ahnungsbefreit hebe ich die Schultern, drehe meine Hände nach außen und stelle mich auf meine Zehenspitzen. Ihren Rundgang hat Tanja inzwischen abgeschlossen - auf 50 Quadratmeter gibt es nicht viel zu entdecken. Ob es klug wäre, wenn wir demnächst ihre Wohnung nehmen? Rhetorische Fragen ignoriere ich und reiche ihr stattdessen eine Packung ihrer Lieblingskekse. Wir werfen uns nebeneinander auf die Rücken und betrachten die Decke, während von hinten Musik strömt. Wir sprechen beide die Lyrics mit, in denen jenes Spiel beschrieben wird, in dem es keine Gewinner gibt, da nur zweite Plätze vergeben werden - dieses Spiel heißt Beziehung. Geteiltes Verlorensein ist doppelter Verlust. Mit einer Heimniederlage meiner Wohnung im Gepäck verlassen wir das Daheim meiner Meldeadresse. Die nächsten Stunden habe ich nicht gespeichert. Aus einem Cafe winkt uns Petra zu, die zu meiner Überraschung fließend meine Muttersprache spricht. Leider ist mir Petras Vorname entfallen, so dass ich, als ich die beiden einander vorstelle, trickse: Tanja soll Petras Vornamen raten. Ihr mißlingt das, trotzdem haben beide Spaß dabei und verstehen sich nicht nur innerhalb der ersten halben Munte, sondern mögen sich geradezu. So begebe ich mich in den Kinomodus, was möglicherweise als unhöflich gilt, aber was zählt das, wenn man verliebt ist? Die ertsen Minuten des Plauschs habe ich verschlafen, denn Petra beschreibt bereits ausführlich, wie sie Sex am liebsten hat. Oder Männer. Sie verwendet die beiden Worte synonym. Hart, schnell, unverwechselbar gut. Ob Tanja schon mal einen Typen hatte, dessen Beine dünner waren als ihre Oberarme. Da fühlt man sich als Frau geborgen. Dies habe sie vorletzte Nacht erfahren. Und neulich habe sie auf einem Date einen Beutel voll mit Geschenken bekommen - sie hat sich nie wieder gemeldet und eine falsche NUmmer hinterlassen. Und ein Mann habe heute Vormittag ihr zu offenherziges Outfit angeprangert. Sie habe das zur Kenntnis genommen, Nörgler hätten Sex zum Nörgeln. Da habe sie die Finger und den Rest ihres Körpers von gelassen. Über ein Online-Portal komme sie jederzeit an spannende Männer - leider sind dieser vorher nicht sicher zu erkennen. Sie habe zwar insgesamt nur gute Erfahrungen gemacht, nur sei gut ein weites Feld, bestückt mit Spaß, Gesprächen und lustigen Missverständnissen. Ich frage sie, ob sie dieses Jahr schon Sex hatte. Nein, keinen, denn der passende Mann sei nicht dabeigewesen. Die nächsten 5 Minuten verpasse ich. Vielleicht auch mehr. Meine Mundwinkel in eine Diagonale legend, mutet es an, als amüsiere ich mich. Nein, nein, das liegt an der Sonne. Die Sonne amüsiert dich? Nein, aber in chlorhaltigem Wasser würdest du auch nicht fragen, ob sich jemand amüsiert, nur weil er die Augen kneift. Die Sonne nervt dich? Ja, und die Kopfschmerzen lassen nicht auf sich warten. Mein Armer. Erstens leide ich nicht und zweitens kann man etwas tun. Zum Beispiel Mundwinkel nach unten drücken? Nein, den Platz wechseln. Petra ist so aufmerksam, mir ihren anzubieten. Ich komme mir 3 x so alt vor wie in amtlichen Unterlagen über mich festgehalten. Auch die nächsten Minuten schalte ich ab, da im Hintergrund ein Radio eingeschaltet ist - bei der Wahl zwischen Sonnenbad und Radioerguss würde ich jenes bevorzugen. Ob ich schlecht gelaunt wäre? Wer hat das gefragt und ist dir nicht klar, dass so man derart simple Fragen in einem Buch nicht zu stellt. Jedenfalls kassiert Petra für die Frage von Tanja einen Seitenkick mit den Fingerspitzen. Nein, nicht schlecht gelaunt, sondern gar nicht gelaunt, da abwesend. So so, so Petra. In Gedanken rede ich mir das bevorstehende Wochenende schön, um meine Stimmung nicht völlig zu verhageln. Ich bestelle uns mehrere Kaffee. Ob ich die, die auf dem Tisch stehen, nicht gesehen hätte? Und ob ich vergessen hätte, dass von drei Tischteilnehmern nur ich Kaffee trinke? Nein, nein, abwesend eben. Die Bedienung stellt 3 große Cafe Creme vor mir auf. Ich besorge verschiedene Süßungen vom Tresen. Vanille, Schoko, Zimt. Damit garniere ich die drei Getränke, bis sie zu einem verkappten Tiramisu anwachsen, nicke meinen beiden Trinkbegleiterinnen zu und verschwinde. Mit mir ist heute nichts mehr anzufangen. Dabei habe ich noch Büro vor mir. An einem Tisch wischt ein Mann auf einem Smartphone zwischen Bildern bekannter Insekten hin und her, während mehrere Fliegen über seinen Tisch laufen. Ein Mädchen isst Zuckerwatte und fragt ihre Mutter, ob sie anschließend noch etwas Süßes bekommt. Zwei Jungs fragen, ob sie ihre Fahrräder im Cafe abstellen dürfen, denn sie hätten gehört, dass so viele Teile geklaut werden in der Stadt. Ich folge dem dem Pfeil neben dem auf einem Kübel sitzenden Miniaturmann, schließe ab und nehme Platz auf dem Klosett. Die Hose lasse ich nicht herunter, denn ich bin nicht zur Erleichterung, sondern zur Beruhigung hier. Ich zähle die Kacheln an der Wand und gebe jeder einzelnen einen Namen, Deborah, Loori, Jenny, Freya, Kerstin. Neben mir wird laut gefurzt und der Absender gratuliert sich zu diesem Akt. Ein Käfer krabbelt über Freya. In der anderen Kabine wird etwas gespielt, Fluch- und Jubeleinheiten wechseln sich ab. Die auf Partynievau liegenden Lebenshinweise der Innentür haben mehr Flecken als Buchstaben, und so bleiben die Statements im Dunkeln. Für einen Nachmittag in der Woche, auf einem Herren-WC, haben wir hier viel Betrieb - vielleicht befinde ich mich an einem Treffpunkt für sexuelle Austauschaktivitäten. Um das nicht herauszufinden, packe ich meine Sachen und verlasse die Kackschleuse. Am Kartenständer rufen mich verschiedene Papierstücke zu Besuchen eines Fitnessstudios, verschiedener Kinofilme und der Bestellung bei einem Lieferdienst auf - auch eine Applikation, mit der ich Geld sparen kann, wird erwähnt. Ich erspare mir einfach all diese Dinge. Eine junge Frau trägt ein Kleid, in dem sie sich nicht wohl fühlt. Ihre Begleitung versucht ihr dies seit Minuten auszureden. In Erwartung einer vernichtenden Kritik überhört sie dabei die Komplimente und zieht stattdessen die Zipfel ihres Saums zurecht. Ihr Stück fällt etwas zu schrill aus für das Gesicht, das sie macht - eine Prinzessin mit der Mine eines Steinbutts verfängt nicht. Die beiden habe ihr erstes Date. Auf dem Weg zur U-Bahn fängt Tanja mich ein. Ich hätte mehr Gelassenheit an den Tag legen sollen. Ach nein, doch nicht, das richtige Wort heißt anders. Ich entgegne nichts, und sie versteht das als Nein. Ich gebe ihr einen flüchtigen Kuss auf die Wange, worauf sie schimpfen anfängt - in Bruchstücken: weißt du eigentlich, wie sehr ich dich mag + was ist passiert seit heute früh + ich habe kein Recht darauf, aber etwas mehr Aufmerksamkeit verdient + warum vertraust du uns nicht? Sie erwidert meinen Kuss und ich frage sie, wo wir morgen hinfahren möchten. Gern weg. Oder zum Shoppen. Hauptsache mit dir. Die Bahn fährt ein, Tanja setzt sich auf den vordersten aller möglichen Plätze, um Zeit zu sparen nach dem Aussteigen. Ich bleibe stehen. Tanja meint, ich hätte keinen Grund, neben der Spur zu sein. Nein, ich stehe einfach lieber in der Bahn. Du stehst grundsätzlich daneben? Als nächstes wird sie mich bitten, mich neben sie zu setzen, denn sie unterhalte sich nicht gern vor Fremden und Flüstern beherrscht sie nicht. Statt Nein zu sagen, weise ich auf zwei heftig knutschende Pärchen hin, jünger als 16, die sich in den Künsten des Ineinanderverschlingens zu überbieten versuchen. Wir fast alle sind Fleichstücke auf zwei Fleischstelzen, und per Zungenkuss verankern sich die Fleischträger. Wissend, wie albern das aussieht, imitieren Tanja und ich auf einen Meter Entfernung die Mund-zu-Mund-Schnappereien. Tanja zieht mich ihr hinunter, ich solle nun endlich Platz nehmen neben ihr und mich nicht benehmen wie ein Jerk. Ob die beiden wohl zusammen sind? Welche der beiden, fragt Tanja. Ich drehe ab, es gibt Wichtigeres als Beziehungsfragen. Welche Fragen denn? Bevor ich antworte und nicht antworte in einem Abwasch, bringt mich Timur um diese Chance, da er seine Geschichte vom 72jährigen, dem zwar mit seinem Filmdebüt ein Jahre anhaltender Kassenschlager gelang, der es sich jedoch nicht verzeihen konnte, so spät seine Bestimmung gefunden zu haben, und einen Tag vor seinem 75. Geburtstag starb. Einem der Mitfahrer kommen die Durchsagen, die Beleuchtung, die Geschwindigkeit vor wie anderen ein Raumschiff: ein Hund. Der die Leine haltende Herr hat ein großes Stück Papier mit Agenturmeldungen zur Außenpolitik vor seinem Gesicht ausgebreitet, so dass der gewohnte Blickkontakt unterbrochen ist und das Tierchen mit seinen Spargelbeinen um Sicherheit ringt. Besonders die zuschnappenden Türen führen an jeder Station zu einem Mini-Infarkt. Bei jedem Umblättern schnauft der Herr mehrfach durch, als hätte seine Lektüre etwas zur Lösung der berichteten Konflikte beigetragen, und auch die raschelnden Papierseiten tragen nicht zur Beruhigung seines Begleiters bei. Tanja lupft an meinem Shirt, ich spiele mit meinem Gesicht Fragezeichen. Wir könnten auch ans Meer fahren. Ich mag keine Überraschungen. Du magst das Meer nicht? Wann hast du Geburtstag? Dieses Jahr bin ich noch fällig. Ein Halt auf offener Strecke bringt den Terrier um den Rest seiner Fassung. Möchtest du auch mal einen Hund? Wenn ich ein richtiges Haus habe, und Zeit, vielleicht ja. Die Fellkröte versteht meinen Blick als Aufforderung zum Spielen, dabei überlege ich nur, ob man als Erwachsener für 3 Euro etwas Ähnlich Aufregendes bekommt wie diese Kreatur auf dieser Fahrt. Mir fällt nur ein Paar Biere ein. Das Herrchen markiert einige Zeilen in der Zeitung, faltet die jeweilige Seite zusammen, und legt diese in seiner Handtasche ab. Tanja fragt, was das mit uns ist. Ich setze mich, lege meinen Arm um sie und küsse ihr Haar. Keine Beziehung, oder? Ich glaube nicht, nein. Einfach nur Spaß? Nein, das ist nur ein Teil. Hat das Zukunft? Wir fühlen uns wohl - das geben wir nicht auf. Wie geht es dir? Worte finden mich seltsam - so geht es mir. Neben dem Anfang verpasse ich auch Mitte und Ende von Timurs Kurzvortrag. Geht man nach den Gesichtern, war ich nicht der Einzige - nur die Touristen haben sich seiner Geschichte gewidmet. Für seine Stand-Up-Tension wird er von ihnen mit Taschengeld entlohnt, schließlich reichen leere Flaschen höchstens für halb so viele volle Flaschen, und er scheint kein Freund von Mineralwasser zu sein. 2 Stadtbesucher beratschlagen, ob 1 oder 2 Euro angemessen wären. Sie einigen sich auf 50 Cent. Er steigt vor mir aus, um den gleichen Auftritt im Nachbarwaggon vorzubereiten - die Vorbereitung besteht aus einem Zug aus der Flasche, für die Flasche im Zug. Am Rathaus Baumlitz auszusteigen bedeutet auch, Meter für Meter in eigener Kindheit zu waten: hier fuhr ich zum ersten Mal Fahrrad, hier lernte ich die Heftigkeit von Schürfwunden kennen, hier wog ich ab zwischen dem Eis für eine Freundin und dem Erwerb weiterer Sammelkarten. Vor dem saftig leuchten Lettern des Supermarkts "Sonnengrün" werde ich wieder wach. Hier werden Produkte mit überdurchschnittlich das Wort "Natur" verwendenden Bezeichnungen und unübersichtlich vielen Herkunftsmarken verkauft - ein sicherer Hafen für die Summe meiner Ansprüche. Einen Chip brauche ich nicht, auch kein passendes Geldstück, die Wagen darf man ohne Pfand bedienen. Mich durch die Gänge schleichend, drehe ich wieder und wieder die Dinkelvollkornflakes aus der Bauländer Familienbäckerei, mit Meersalz und Amaranth, prüfend hin und her, ebenso die Brühe mit Kurkuma, Liebstöckelblätter und Karotten, und tiefgefrorenen Fisch, der mir mit der Präzision einer Satellitenmessung erklärt, wo er gezogen, gefüllt und geschlachtet wurde. Ich kann Bio nicht erklären, bestehe aber darauf. Mein Wagen ist bereits zur Hälfte gefüllt. Die andere Hälfte bleibt leer, denn sonst wäre es nicht ökologisch, sondern konventiell. Unterschied zwischen den beiden: Ökologisch gewinnt nicht immer, konventiell auch nicht. Zwei ältere Mitkonsumentinnen tauschen Feinheiten zu den Inhaltsangaben eines Kuchenteigs aus. Es soll eine Erdbeertorte werden, biologisch korrekt und umwelteinwandfrei. So oder so sei der Streit zum Geburtstag garantiert. Für glückliche Ehen gibt es keinen Bauernhof. Vor einem Kühlregal sucht eine schwangere Frau nach einem Sojagericht für 3 Personen. Sorgsam vergleicht sie Inhaltsangaben, Preis und Größe der Verpackung. In ihrem Wagen befinden sich Reis, Butter, Milch, Tee und ein Kräutergebüsch. Diese Dinge werden sicher auch in anderen Läden verkauft und mit Sicherheit kann man bei der Herstellung nicht viel Schaden anrichten, und doch hat dieser Satz kein richtiges Ende. Als eine Einzelhandelsfachkraft damit beginnt, neue Waren einzuräumen, fragt sie ihn, ob sie auch Mettwurst hätten. Nein, nur Teewurst. Schließlich wird sie zwei Tiefkühlpizzen nehmen, da ihr das Kleid der Frau gefällt, die das Gleiche tut. Ich schiebe meinen Wagen weiter, denn trotz aller hier herrschenden Tierliebe sind Schlangen auf dem Flur nicht gern gesehen. Eine Dame lässt sich über sämtliche Zutaten verschiedener Brote aufklären und nimmt dann ein Stück Kuchen. Man reicht mir, an einem Cocktailstäbchen angebracht, Frischkäse. Als ich nichts erwidere, winkt die Frischkäsevermarkterin mir fragend zu. Ein Kaugummi kauender Mann nimmt dankend mehrere Stück und ringt um Worte, die erklären, wie schmackhaft, vorzüglich und kostbar die Käsesternchen wären. Vor dem Regal mit dem Pastawaren zeichne ich meinen letzten Versuch, mit Vollkornnudel ein leckeres Gericht zuzubereiten, nach. Es scheiterte irgendwo zwischen Abtropfen der Nudeln und der Beigabe von geriebenem Käse: das Essen stank und klebte, obwohl die Einzelzutaten prima mundeten und nicht aneinander hafteten. Ich lasse das Regal das tun, was ein Regal zu tun hat: stehen. Scampi-Pizza mit Büffel-Mozarella und Rucolasalat - diesen Einfall rahme ich ein, bis mir 23 verschiedene Müsli-Sorten zu viel Aufmerksamkeit abverlangen, um den Rahmen zu schließen. Ich entscheide mich für die Haferflocken, nicht, weil ich Appetit darauf hätte, sondern diese am ehesten verstehe. Um 10 Prozent bei allen zukünftigen Einkäufen zu sparen, schließt die Dame vor mir - passionierte Lehrerin, wie sie berichtet - eine Mitgliedschaft in oder für diesen Supermarkt ab, was 50 Euro kostet. Statt 26,40 zahlt sie nun nur 24,98. Ob sie 1,42 gespart oder 48,58 zu viel ausgegeben hat, beantwortet mir niemand. Ich warte, bis das Band geleert ist - womit ich mir keine Freunde in der Reihe mache - und platziere dort Joghurt, Bananen, Haferflocken, Papaya, Tomatenmark und Limonade. Auf einem Plakat im Packbereich wird vermerkt, dass, wenn man beachtet, wie viel wir zu essen haben, jeder Hungertote einem Mord entspricht. Bei meinem nächsten Einkauf wird diese Nachricht entfernt sein. Ausgestattet mit mehreren Kilogramm Essen und Getränken, die ich an diesem Abend nicht mehr anrühren werde, komme ich in meiner Wohnung an. Leergepumpt vom Tag, angehaucht von einem gewissen Nichts und nun umgeben von vier Wänden, werfe ich mich ins Bett, um die letzten 18 Stunden von der Festplatte hinter meiner Stirn zu löschen. Ob der Ereignislosigkeit des Tages gelingt mir das zügig. Ich setze mir Wasser auf und dosiere die 1,5 fache Konzentration von Kaffeepulver. Die Musik geht an, laut, elektronisch und unverschämt sexy. Gegeb das leichte, unwillkürliche Mitwippen, das Vorglühen der Tanzbeine, hilft keine Artilerie. Dieses Album höre ich zum ersten Mal - ein Glücksgriff, da keine Bullshitsongs enthalten sind. Alle Mitglieder singen, nur Gesang kann man das nicht nennen, denn 96 % sind pure Elektronik. Wie man wohl den Namen der Band ausspricht? Midio-Rosch-lauks. Während ich hinter und her schaukele, erinnert mich Laura daran, dass ich tatsächlich eine Verabredung für heute Nacht zugesagt hatte. Ob alles bei 12 Uhr, pünktlich zur Eröffnung des Open-Air-Clubs, bleibt? Hallo? Pünktlich zu einer Party? Zuerst antworte ich nicht. Nach weiteren Nachrichten Lauras frage ich nach der genauen Anschrift, dann nach unserem Begleitern, dem Wetter und schließlich danach, ob sie wirklich Lust habe. Im Gegensatz zu dir: ja. Sie ruft an und fragt, ob mein Online kaputt sei, denn meine Fragen hätte ich mir selbst beantworten können. Ich finde online heraus, ob ich Lust habe? In abgehackten Lautwürfeln übermittelt mir Laura die Rahmendaten zu meinen nächsten 2 -8 Stunden. Ob ich angepisst sei? Nein, nur unfähig zu spontanen Treffen. Wir waren verabredet. Das hatte ich vergessen. Wenn du nicht magst, sage das nächste Mal einfach früher Bescheid, ich suche mir was Anderes. Und ich suche mein Bett. Dabei fällt mir ein, dass ich bei Musik nicht einschlafe. Nach 2 Stunden Überlegung, ob ich nicken oder lauschen möchte, stehe ich auf, um Laura zu treffen. Der vorhergehende Satz trifft nicht zu. Wegen eines furchtbaren Traums - Albträumen kann nicht vorgebeugt werden - stehe ich mitten in der Nacht mit einem Schlag kerzengerade neben meinem Bett. Die Zombies, nach denen ich mich auf Jagd begeben hatte, schweben beim Öffnen meiner Augen vor mir, als hätten die Bestien sich in den Augenlidern verfangen. Ich schalte alle Lichter an, die zur Verfügung stehen - das Zählen der Leuchtsterne breche ich bei der Lichterkette ab. Ich setze mir einen Kaffee auf, auch wenn die halb gefüllte Kanne noch warm von vorhin ist. Ich wische übers Tablet und öffne "F + U = K". Ziel des Spiels ist es, innerhalb von Zivilisation aufzubauen und dieser das Sprechen beizubringen. Die Spielverläufe variieren und so entsteht mal eine Maschinen-, mal einen Süßigkeiten-, mal eine Zahlensprache. Man kann auch einem Gegner, der online ist und sich zu einem Duell bereit erklärt, seine Sprachentwicklungsstufen stehlen, was einfältig klingt, aber Spaß bringt. Viele Spieler - und gerade diejenigen, die sich für die besten halten - haben sich beschwert, dass es keinen Gesamtscore gibt. Sie nehmen das Spiel zu ernst, um noch das Spiel zu sehen. Anzahl der Vokale, Länge der Ausdrücke und Wiederholungen innerhalb einer Zeichenkette sind die entscheidenden Taktgeber für den Sound der Spielsprachen. So werden in einer Partie aus einem Lumu ein Lumaluka und daraus ein Ludmukantesgrun - Worte, von denen man selbst nicht weiß, wie sie auszusprechen sind, stellen eine Rarität, mit der man die meisten Punkten holt, dar. Drei Runden sind gespielt, knapp 30 Minuten vorbei. Vorbei Zombiehorden, Laura und Büroleben. Am Ende alles Träume, Wachsein geht vor. Musik, unterlegt mit Kaffee, klopft von innen gegen meinen Kopf, und ruft mir etliche Punkte zu, mich nicht noch einmal hinzulegen. Stimmt. Ich ziehe mir Jeans, Schuhe und ein T-Shirt an, und verschwinde auf die Straße. Draußen ist es weder kalt noch warm, sondern einfach nur Nacht. Ich habe vergessen, die vierte Partie zu pausieren, so dass mein Punktestand leiden wird - sich nicht auszuloggen gilt als Aufgabe und Niederlage. Haustüren knallen nachts anders, nämlich gar nicht. Jeder würde das Gegenteil erwarten. Es mag auch an der Luft liegen, die so schwül ist, dass man sie durchbohren, greifen und verpacken könnte.Ich schaue die Häuserwand nach oben - nur aus meinen Zimmern dringt Beleuchtung, auch das hatte ich vergessen. Vom Tag gebraucht ist eine Kreidezeichnung noch schemenhaft zu erkennen: zu meinen Füßen steht Blubberablubb. Am Wegrand liegen einige Bierflaschen. Die Kinder haben ihre Cola-Flaschen nicht stehen lassen. In der Stadt gibt es immer jemanden, der es für weniger Geld erledigt als du, weshalb sie in spätestens 6 Stunden zurückgeben werden sein. Seit ich draußen bin, habe ich noch keinen Menschen sehen. Das nennt man wohl Apokalypse im Kopf. Von hinten deutet sich Gegröle an, ich sehe nach vorn und streiche mit beiden Händen durch eine tief hängende Baumkrone. So ein Baum wird nie fertig; "Der Baum" ist ein Gerücht. Seltsam, dass er mit seinen tausend Flügeln nicht gelegentlich abhebt. Vielleicht tun sie das, wenn auch die letzte Beleuchtung abgestellt und kein Beobachter in Sicht ist, zum Beispiel zwischen 3 und 4. Das Gejaule von hinten rückt näher. Die paar Meter haben mich strahlend wach werden lassen, als wäre Laufen Kaffee durch Auftreten. Versehentlich einen Zigarettenautomaten streifend, korrigiere ich strahlend wach zu wach werdend. Meine Schuhe klackern nicht, ähnlich der Haustür, als drücke die Luftschwere alles, was sich regt und hebt, nach unten. Mit von Baumblüten klebrigen Händen streife ich mir übers Gesicht, schlage mir deshalb gegen die Stirn und rege mich doppelt auf. Beim Blick in ein Wohnzimmer sehe ich zwei junge Menschen beim Streiten - wie das geht in dem Alter und zu dieser Zeit, bleibt mir ein Rätsel. Gegen einen herrenlosen Ball tretend hinterlässt mein Schuh nun doch ein Geräusch. Bei der Wahl, in eine unbeleuchtete Gasse abzubiegen oder am Rand der Hauptstraße von sehr vereinzelten Autoaugen ausgeleuchtet werden, nehme ich den helleren Weg geradeaus. Hinter mir eine Frage: ob ich Zigarette und Feuer hätte? Seit wann fragt nach beiden Sachen? Also? Nein, habe ich nicht. Ich zeige dem Hoody-Träger den Automaten vor seiner eigenen Tür. Er folgt meinem Handwink, holt sich eine Zigarettenpackung hervor, zündet sich mit Streichholz etwas Selbstgedrehtes an, und zieht. Beim ersten Zug nimmt er die Kapuze ab, und Timur steht vor mir. Er erzählt seine Geschichte weiter, aus der Bahn, an der Stelle, mit der er endete, als ich ausstieg, so, als merke er sich seine Zuhörer einzeln. Unser neuer Kollege - sparen wir uns einen weiteren Namen - lädt uns an seinem ersten Tag alle zum Essen ein. So macht man das wohl. Seine Aussprache hapert an mehreren Stellen: nicht nur, dass er viele Enden - vor allem von langen Worten - verschluckt, sondern vernuschelt, als ob es keinen Morgen gäbe, und Aussprache ein Wühltisch im Schlussverkauf wäre. Und so wird kein Mitesser schlau daraus, was all die Anekdoten von seiner vorherigen Arbeitsstelle zu bedeuten haben und welche Note man ihnen geben könne. Dass wir die Getränke selbst zu bezahlen haben, kontere ich mit Bestellung eines Trinkjoghurts - so verlieren Dinge, die ich noch nie bestellt habe, ihren potenziellen Schrecken, denn Joghurt kenne ich aus dem JJ, oder ich trage ihn in der Maultasche, oder ich bin mit ihm beschlagen, oder auf Draht, jedenfalls ist mir Joghurt näher als meine Jeans. Das Genuschel verliert an Stärke, als die Wochenendplanung angeschnitten wird. Nachdem jeder seinen Heldenbeitrag geleistet hat, kommt unser ungekrönter Gastgeber zu Wort und es werden viele Worte: neben einer Familienfeier stehe ein Bootstrip, ein Date, ein Einkaufsbummel, und ein Brunch an. Er trägt das ohne Ausrutscher vor, als hätte er es hunderte Mal vorher erzählt. Vom Date - einem dankbaren Thema -möchte ich mehr erfahren. Ja, gern, sie arbeitet als Krankenschwester, ist gebürtige Großstädterin, mit einem großen, drolligen Hund und exotischen Pflanzen, von denen jede ihren eigenen Namen bekommen habe: in allen weiblichen Namen komme Anne, und in allen männlichen Namen Rick vor. Das sei gut zur Unterscheidung. Alle Namen helfen beim Unterscheiden, sonst bräuchte man sie nicht. Man hört mich nach dieser Bemerkung einige Sekunden lang Joghurt schlürfen. Es wird unser einziges, gemeinsames Essen bleiben - Verzehr von Sandwiches vor Bürorechnern nicht inbegriffen. Wie ich das Mittagessen fand, fragt mich 6 Stunden später der neue Kollege, der pünktlich gehen wird. Es hat geschmeckt und seinen Zweck. Bescheuerteste Antwort der Woche, und doch zutreffend. Ihm sei aufgefallen, dass - und das sei in anderen Unternehmen nicht anders - sich bei der Einnahme von Speisen die echte Hierarchie zeige. Wie diese hier vor Ort aussieht, beantwortet er umgehend selbst: alle auf einer Ebene, was er gut findet. Ob ich auch andere Lokalitäten kenne, in der Nähe. Ja. Ob ich Lust hätte, ihm und uns diese im Rahmen eines gemeinsamen Essens zu zeigen. In 2 Wochen habe er Zeit; die 10 Tage vorher habe er sich bereits verabredet. Ach nein, in 11 Tagen bin auch ich schon verabredet. Und in 12 ? Außer Haus, mit einem Kunden, ja. 13 ? Da findet Gruppenkochen statt - eine teambildende Maßnahme. Gut, dass das Team auch von alleine stehe, oder? Ich sei eher der beobachtende Typ, hätte er beobachtet. Mag sein, meine Beobachtungen sind noch nicht abgeschlossen - gibt es auch unbeobachtende Typen? Ob ich mich an meinen ersten Tag erinnere und ob ich genau so to toll empfangen worden wäre? Er stellt ein mit Unternehmensfolklore gefülltes Willkommenspaket auf meinem Tisch - hätte ich so eines auch bekommen? Nein, denn wir waren damals nur zu dritt und hatten nicht die Muße, Geschenke zu basteln und zu backen. Ertaunlich, wie ein Unternehmen sich entwickelt, oder? Wenn Langeweile ein Topf, ist dieser hier umgekippt. Eine der Devotionalien stellt einen Fan-Schal mit der Aufschrift "Rookie der Woche" dar. Den hänge er sich morgen an die Wand, heute sei keine Zeit mehr. Auch das gerahmte Schild mit einem durchgestrichenen "Nokolores" werde er morgen auf seinem Platz unterbringen. Und den Gutschein für den Burgerladen um die Ecke wolle er morgen einlösen. Mit deiner Verabredung? Der Laden ist vor Wochen abgebrannt. Das sei ihm wegen des Bewerbungsstresses entgangen. Könnten wir BUrger nicht mal beim Gruppenkochen braten? Nein, denn wir feiern dort die Schönheit des Gemüses - Fleisch bleibt vor der Tür. Auf seine Uhr tippend, reicht er mir seine Hand. Es geht auch ohne. Er wird der Kollege ohne Namen bleiben.